Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Disziplinmanagement in der Schulklasse

Disziplinmanagement in der Schulklasse

Titel: Disziplinmanagement in der Schulklasse
Autoren: Gustav Keller
Vom Netzwerk:
waren voller Klagen. Das Schulregime begegnete dem Problem mit einem drakonischen Strafsystem. Die Lehrer wurden aufgefordert, so zum Beispiel in der Weimarer Schulordnung von 1670, sich des Strafens nicht zu schämen.
    Auf das abweichende Schülerverhalten reagierte man mit harten Sanktionen, die aber offensichtlich nur kurzfristig wirkten. Wie und in welchem Maße sanktioniert wurde, geht aus dem Tagebuch des oberschwäbischen Schulmeisters Jakob Häuberle hervor, der sein fünfzigjähriges Lehrerleben und seine Strafen dokumentierte: «911 527 Stockschläge, 124 010 Rutenhiebe, 20 989 Pfötchen und Klapse mit dem Lineal, 136 715 Handschmisse, 10 235 Maulschellen, 7905 Ohrfeigen, 1 115 800 Kopfnüsse und 22 763 Notabenes mit Bibel, Katechismus, Gesangbuch und Grammatik. 777-mal hat er Knaben auf Erbsen knieen lassen und 613-mal auf dreieckiges Holz; 5001 mussten
    Esel tragen und 1707 die Rute hoch halten…. Unter den Stockschlägen sind ungefähr 800 000 für lateinische Vokabeln, und unter den Rutenhieben 76 000 für biblische Sprüche und Verse aus dem Gesangbuch.» (Raumer 1889, S. 241 f.).
    19 . Jahrhundert
    Im 19. Jahrhundert hatte sich die Schulpflicht weitgehend durchgesetzt. Das Schulwesen war differenzierter geworden. Die Skala der Schulformen reichte von der Volksschule bis hin zu Berufsschulen. Die Schule war eine Drill- und Paukschule. Die strenge Kontrolle des Lernens und Verhaltens verhinderte Fehlentwicklungen und Lerndefizite nicht. Die Leistungen der Schüler wurden sehr negativ beurteilt, ebenso das Sozialverhalten. Im Jahre 1816 beklagte das Frankfurter Polizeiamt das aggressive und gewalttätige Verhalten der Schüler.
    Es kam auch immer wieder vor, dass sich Schülergewalt gegen Lehrpersonen richtete. Im Jahre 1887 schossen vier Jugendliche im thüringischen Boden-rode auf einen Lehrer und verletzten ihn schwer. Am 18. November 1894 entging ein Lehrer in der Stadtschule Preussisch-Friedland nur knapp einem Attentat.
    Der Schulbesuch war trotz der Schulpflicht alles andere als regelmäßig. Nicht selten geschah es, dass an einem Schultag die Schwänzerquote höher war als die Präsenzquote.
    Die Schüler des 19. Jahrhunderts entsprachen keineswegs den Normen der ideal klingen Schulordnungen, die ihnen immer wieder nahe gelegt wurden. Sie ähnelten eher den bösen Buben, wie sie von Wilhelm Busch in Gestalt von Max und Moritz gezeichnet und beschrieben wurden, oder dem hyper-aktiven Zappelphilipp und dem Faulpelz Bastian in den Kindermärchen des Frankfurter Nervenarztes Dr. Heinrich Hoffmann.
    Die Disziplinschwierigkeiten produzierten auch den Lehrerstress. Am 17.11. 1867 schrieb der Lehrer Kühle an seine Vorgesetzten: «Hiermit möchte ich Sie in Kenntnis setzen, dass mir gestern Abend aufs Neue das Blut ausgebrochen ist und ich auch heute nicht im Stande bin, Unterricht zu erteilen. Ich gebe nichts anderem die Schuld als dem Schulehalten, denn während der Ferien war es mir wohl.»
    20./21. Jahrhundert
    Die Schule der Jetztzeit ist eine der wichtigsten gesellschaftlichen Institutionen. In der Schule wird eine hoch entwickelte Kultur weitergegeben. Außerdem ist die Schule zum zentralen Verteiler von Lebenschancen geworden. Im Vergleich zu vergangenen Epochen ist die pädagogische Arbeit stark professionalisiert. Die modernen Gesellschaften lassen sich den Kulturerhalt einiges kosten. Die Schüler werden mit wissenschaftlichen Argusaugen beobachtet. Schließlich steht und fällt der Kulturerhalt mit dem Schulerfolg. Was an der Schule kritisiert wird, ähnelt verblüffend der Schulschelte vergangener Kulturepochen. Neu ist nur die Sprache, nicht der Kerngehalt der Kritik. Was früher volkssprachlich ausgedrückt wurde, erscheint immer häufiger im Gewand der pädagogisch-psychologischen und medizinischen Fachsprache. Ganze Forschungsgruppen und Institute beobachten seismographisch genau das Vulkangebiet Schule.
    Am Beginn des 20. Jahrhunderts, mitten in der wilhelminischen Zeit, achtete man sehr darauf, dass das Schülerverhalten den Vorstellungen von Zucht und Ordnung entsprach. Denn die Staatsphilosophie ging davon aus, dass die Schule, die auch als Vorschule der Kaserne bezeichnet wurde, den disziplinarischen Grund legt, auf dem der Staat und das Heer aufbauen. Der wilhelminische Schuldrill scheint aber nur eingeschränkt wirksam gewesen zu sein. Die Schüler verletzten genauso häufig die Normen der Schuldisziplin wie in den Jahrhunderten zuvor. Es gab nicht nur epidemisch verbreitete
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher