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Dinner for One auf der Titanic

Dinner for One auf der Titanic

Titel: Dinner for One auf der Titanic
Autoren: Michael Koglin
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Schiebermütze strahlte James freundlich an. Doch was ging ihn schon die dritte Klasse an?
    »Keine Ahnung«, sagte James.
    Langsam wurde er unruhig. Diese Miss Sophie hatte sich hier mit ihm verabredet, um ihm »persönlich«, und sie hatte dies extra betont, sein Ticket zu überreichen. Warum sie allerdings nicht gemeinsam an Bord gehen sollten, nein, darauf konnte er sich keinen Reim machen. Womöglich ein Aberglaube?
    Nun ja, diese adligen Ladys waren bekanntermaßen ein wenig spleenig. Andererseits war es ihm auch völlig gleichgültig. Schließlich wollte er mit ihr ja keinen Bund fürs Leben schließen, sondern in ihren Diensten lediglich ein wenig herumbutlern. Kein unterwürfiges Dienstverhältnis, sondern ein Agreement, das ihn nach Amerika brachte. Zum Klondike.
    Die großen Ziele waren es, die zählten. James zog ein Fernglas aus der Tasche, das er von seinem letzten Geld bei Harrod’s erstanden hatte. Weitsicht zahlte sich immer aus. Das hatte ihm seine Mutter mit auf den Weg gegeben.
    James spürte einen leichten Stich in der Brust. Genau da, wo er in einer Tasche seines Gehrocks ihr Foto bei sich trug.
    Mit dem Glas verfolgte er eine kreischende Möwe, die mit einem Fisch im Maul über der Titanic kreiste. Seitlich von der Brücke stand Kapitän Edward J. Smith und hielt seinen weißen Bart über die Reling. Stoisch und ein wenig gelangweilt, ganz wie Cäsar von seiner Loge im Circus zu Rom, blickte er hinunter auf das Treiben.
    Auch sein Bild war in den letzten Tagen in den Londoner Blättern abgedruckt gewesen. Der bestbezahlte Kapitän, der auf den sieben Weltmeeren unterwegs war. Sollte er.
    Vielleicht würde James mit seinen Golddollars den Kahn später kaufen und den Mann einfach rauswerfen. Obwohl, das war dann doch ein bisschen spät, denn dieser Smith plante, mit der Jungfernfahrt der Titanic auch in seinen Ruhestand zu dampfen.
    Eine Möwe kurvte über der Brücke. Sie drehte zwei Runden, und James sah, wie sie sich laut kreischend entleerte. Der weiße Placken fiel in einem anmutigen Bogen vom Himmel und klatschte schließlich auf die bronzene Schiffsglocke direkt neben Kapitän Smith. Sofort eilte ein Matrose herbei, der unter den Augen von Smith den Kot mit seinem Ärmel von der Glocke wischte.
    James ließ das Fernglas sinken. Das war schon seltsam in diesem Leben, dachte er. Ein so gigantisches Schiff mit kraftstrotzenden Dampfmaschinen und haushohen Schiffsschrauben, vollgestopft mit allem erdenklichen Luxus – und doch musste es sich von einer Möwe zuscheißen lassen.
    Der Tritt in einen Hundehaufen sollte ja ein gutes Omen sein. Aber was bedeutete es, wenn eine Möwe ihre Verdauungsreste auf der Glocke eines Ozeandampfers hinterließ, die ja so etwas wie das Allerheiligste war? Gab es da am Ende doch etwas zu befürchten? Musste er sich Sorgen machen?
    Wieder ließ die Titanic ihr heiseres Tuten hören. James presste die Pfanne unter den Arm und schritt entschlossen auf das Schiff zu.
    »Nun, James, wollen Sie mir nicht ein wenig zur Hand gehen?«
    Wie aus dem Nichts stand Miss Sophie neben ihm und drückte ihm einen Koffer in die Hand. Er hatte keine Ahnung, wie sie es fertig brachte, das Ding anzuheben, während er sogleich ein Knacken in seiner Schulter vernommen hatte, das nichts Gutes verhieß.
    »Das wird Sie doch nicht überfordern?«, fragte sie.
    »Eine Hand habe ich noch frei, Miss Sophie.«
    »Fein, James.«
    Sie reichte ihm ein Stück Papier.
    »Es ist sicher nicht unrecht von mir, zu hoffen, dass wir uns nach dem Ablegen zügig in meiner Kabine sehen«, sagte sie. »James, die verstaute Kleidung harrt ihrer Befreiung aus der dunklen Enge der Koffer.«
    »Sehr wohl, Miss Sophie.«
    Sie nickte knapp und rauschte mit leicht erhobenen Armen zur Gangway der ersten Klasse davon. Sicher bereit, dem ersten alten Bekannten, der ihr begegnete, um den Hals zu fallen. Eine furchtbare Sippschaft.
    James wuchtete den Koffer ein paar Meter weiter und setzte sich auf einen Poller. Genießerisch schloss er die Augen. Die Strahlen der Frühlingssonne wärmten sein Gesicht.
    Warum um alles in der Welt schaffte sie Bleiplatten an Bord der Titanic?
    Er warf einen Blick auf den Zettel, den sie ihm in die Hand gedrückt hatte.
    »Ticket – dritte Klasse«, stand da deutlich zu lesen. Und was um alles in der Welt sollte das jetzt wieder bedeuten? War er als Butler nur ein Stück Dreck, ein notwendiges Übel, das man auf das Zwischendeck zu all den nach Knoblauch und Fusel stinkenden
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