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Dinner for One auf der Titanic

Dinner for One auf der Titanic

Titel: Dinner for One auf der Titanic
Autoren: Michael Koglin
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weil er nicht wie ein Affe von Ast zu Ast toben konnte? Und ein Affe neidisch, weil er mit den Stellenanzeigen in der Times nichts anzufangen wusste?
    Seltsame Ideen hatten diese Österreicher. Das musste mit dem dortigen Klima zusammenhängen.
    Auf dem Pier spielten sich Dramen ab, die noch jedes verwöhnte Theaterpublikum in ihren Bann gezogen hätten. In Tränen aufgelöst warf sich ein blonder Jüngling in die Arme eines an den Schläfen ergrauten Herren. Trotz des beträchtlichen Altersunterschiedes sah es nicht so aus, als handele es sich um Vater und Sohn.
    Der Ältere befeuchtete mit der Zunge seinen Mittelfinger und strich sich damit über die Augenbraue. Sollte dies etwa einer jener Männer sein, die des nächtens die Gesellschaft von Männern der von Frauen vorzogen? Andersherum, sozusagen? Die Überfahrt versprach ja heiter zu werden.
    »Cäsar, die Todgeweihten grüßen dich«, sagte der elegante Herr, zum Schiff gewandt.
    »Damit macht man keine Witze.«
    Der Mann versuchte, die in das Mantelrevers verkrallten Finger des jungen Mannes zu lösen.
    »Oscar, jeden Tag wirst du mir schreiben, hörst du? Und du wirst mir jeden zweiten Tag eines deiner schönen Gedichte schicken.«
    »Ich lehne es ab, einen Stift in die Hand zu nehmen.«
    »Und du wirst auch nichts anderes Längliches in die Hand nehmen. Schon gar nicht, wenn es an einem Steward hängt. Versprichst du mir das?«
    »Soll das eine Szene werden?«
    Der blonde Mann schluchzte laut auf und vergrub sein Gesicht in den Mantel des hageren, gut aussehenden Sechzigjährigen. Der schüttelte ihn ab und hob einen Spazierstock mit Elfenbeingriff in die Höhe.
    »Wohl denn. Titanica, Titanica, jetzt kannst du mich empfangen.«
    Der junge Mann kreischte auf.
    »Niemand wird dich empfangen, und du wirst auch nichts empfangen.«
    Ruppig stieß ein finsterer Zeitgenosse den verzweifelten blonden Mann zur Seite. Er war klein, und seine Bewegungen wirkten ungelenk.
    »Sentimentales bourgeoises Gewäsch«, sagte er und bahnte sich mit seinem Bündel den Weg über die Gangway. Seine abgewetzte Lederjacke glänzte an einigen Stellen. Die fettigen Haare fielen in Strähnen über sein Gesicht.
    Hatten sich über Nacht die Tore sämtlicher Londoner Irrenanstalten geöffnet? James befürchtete das Schlimmste.
    Die derben Stiefel des Mannes knallten über das Holz. Seine Hosen mussten bereits über mehrere Generationen weitervererbt worden sein. An ihnen klebte sicher noch der Staub, der bei den Hunnenkriegen aufgewirbelt worden war, und imGestrüpp seines Bartes entdeckte James ein paar Speisereste. Mit stechendem Blick reichte er dem Steward sein Ticket.
    »Hier, du Lakai, beiß es ab.«
    »Bitte, Sir?«
    »Abbeißen, Schoßhündchen.«
    »Sir!«
    Der Mann bellte dem verdutzten Angestellten der White Star Linie direkt ins Gesicht – »Wau! Wau!« – und deutete auf den weißen Stern, der auf dem Schulterstück seines Gegenübers prangte.
    Entsetzt wich der Steward zurück, doch der grobschlächtige Mann hielt ihn an seiner Uniformjacke fest. Sein Gesicht verzog sich zu einem spöttischen Grinsen.
    Er wischte über den Stern, als wollte er ein darauf herumkrabbelndes Insekt entfernen, und hustete dem Steward ins Gesicht. Brüllend vor Lachen verschwand er in einer Luke der Titanic.
    Eigentlich schleppten diese Passagiere ja nur mühsam ihr altes Leben an Bord, dachte James. Sollten sie.
    Ihm war philosophisch zumute. Für ihn begann etwas Neues. Tief sog er die Luft in die Lungen. Ja, er war im Begriff, neu geboren zu werden. Hier stand er nun, nur ein paar Schritte über die Gangway, und er war mittendrin.
    Ein Automobil bremste neben dem Verladekran, und ein Diener sprang aus dem Wagen. Er stellte einen Hocker neben die Tür und half einer rothaarigen, vielleicht zwanzigjährigen Dame hinaus. Ein auf sie zueilender Mann reichte ihr schwungvoll die Hand, doch sie ignorierte ihn und raffte lieber selbst ihre Röcke.
    »Aber Kate, ich bitte dich.«
    Sie sah sich nach ihrer Begleiterin um. Wahrscheinlich die Mutter.
    Drüben in der Hafenkneipe johlten ein paar junge Männer. Nur Augenblicke später stürmte einer der Burschen aus der Spelunke.
    »Gewonnen«, schrie er und riss ein Schiffsticket in die Höhe.
    »Gewonnen, Leute. Leonardo di Carrera fährt über den großen Teich.«
    Er stürmte auf die Titanic zu und verschwand in einer der Passagierluken.
    »Sir, könnten Sie mir wohl sagen, wie ich zum Aufgang für die dritte Klasse komme?«
    Der Mann mit seiner
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