Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Autoren: Taiye Selasi
Vom Netzwerk:
Frustration.
    Oder was
er
für »Frustration« hält.
    Er hat einmal gelesen, dass Frustration nur ein anderer Name für Selbstmitleid ist.
    Wie immer man es nennen will.
    Das letzte Mal, dass er sich so gefühlt hat, war bei Sadie: Frustration/Mitleid, dass die Welt zu schön ist und gleichzeitig schöner, als er weiß, als er es je
bemerkt
hat. Es ist ihm entgangen, und vielleicht entgeht ihm noch mehr, aber das wird er vielleicht nie erfahren, vielleicht ist es zu spät, es
kann
zu spät sein – es ist ihm entgangen, dass es so etwas überhaupt
gibt, s
o ein Zu-Spät, dass die Zeit abläuft und dass es vielleicht letztendlich gar keine Rolle spielt, was er bemerkt hat und was nicht, denn wie kann es wichtig sein, wenn alles verschwindet?
    Oder eine Art Gedankenspirale, die in diese Richtung geht und sich bei dieser letzten Verteidigung zu Wort meldet – das heißt, wie kann ihm vorgeworfen werden, was er versäumt hat, wenn ohnehin alles in Bedeutungslosigkeit gehüllt ist, wenn alles stirbt? Er plädiert auf nicht schuldig (
Ich habe nicht
gewusst
, was schön ist; ich hätte für alles gekämpft, wenn ich es gesehen hätte, wenn ich es gewusst hätte
!). Aber vor wem er – in der Glasveranda genau wie im Säuglingsraum – eigentlich plädiert, bleibt weitgehend unklar. Und noch etwas. Etwas Neues jetzt. Weder Rechthaberei noch Blindheit noch blinde Empörung noch Mitleid.
    Akzeptanz.
    Des Todes.
    Denn er weiß, auf seltsame Art, als die Spirale bei
wenn alles stirbt
anhält, dass er kurz davor ist.
     
    Er weiß – während er dasteht, in seinem Unterhemd und seiner MC Hammer-Hose, die Schulter an die halboffene Schiebetür gelehnt, während er tiefer in den Traum gleitet, in die Erinnerung und in andere Gefühle dieser Art (Bedauern, Reue, Ärger, Umwertung) –, dass er stirbt.
    Er weiß es.
    Aber er merkt es nicht.
    Es ist ein Wissen, keine Erkenntnis. Unauffällig zwischen seinen anderen Gedanken. Nicht einmal ein »Gedanke«. Ein Geräusch, das durch das Wasser auf ihn zukommt, nicht schnell. Eine Gestalt, die sich ganz in der Ferne bildet, aus negativem Raum. Eine Blase, die eben erst den Abstieg ins Bewusstsein antritt. Immer noch zehn, fünfzehn Minuten von der Wahrnehmung entfernt, hinter dem Zeitplan, alle Fakten werden wieder in aufrechte Position gebracht, die Flugbegleiter bereiten die Kabine für die Landung vor. Eine Frau. Die Stimme einer Frau. Die Liebe einer Frau. Die Liebe zu ihr und ihre Liebe. Eine Frau, zwei Frauen. Die Mutter und Geliebte, wo alles beginnt und endet, wie er es schon immer vermutet hat. (Mehr dazu gleich.)
    Im Moment steht er an der Schwelle, fasziniert vom Garten.
    Wie in aller Welt konnte ihm das entgangen sein?

Sechs
    Fast sechs Jahre hat er das hier angeschaut – jeden Morgen, von seiner Glasveranda aus, dieser Veranda mit den deckenhohen Fenstern und dem Dach aus Architekturglas, er hält immer inne, während er Kaffee und Milo Malzschokolade trinkt, den Mocha des armen Mannes, lässt den
Graphic
sinken, saugt bei dem Anblick gedankenabwesend an den Zähnen, denkt, er hätte doch auf dem Pool und den Kieselsteinen beharren sollen, weil er sieht, dass das Liebesgras Wasser braucht, genau da liegt nämlich das Problem mit der Begrünung, hoffentlich ist der verdammte Zimmermann, Mr Lamptey, jetzt endlich zufrieden – in all den Jahren hat er es kein einziges Mal gesehen.
    Seinen Garten.
    Er konnte es nicht.
    Er wollte keinen Garten. Das hatte er mehr als deutlich gesagt. Nichts Üppiges, Weiches oder Grünes. Alle Linien klar usw. (Im Grunde wollte er die Dinge, die er mit Gärten in Verbindung bringt, wie Fola oder die Engländer, nicht auf seinem Grundstück, nicht in seinem Blickfeld.) Er wollte Kieselsteine, weiße Kieselsteine, einen Teppich aus Weiß, wie frischer Schnee, einen rechteckigen Pool. Die Sonne sollte strahlend glitzernd von den weißen Steinen und dem Wasser reflektiert werden, die sengende Hitze in Schach gehalten von einem Überdach aus Beton. Das ist es, was er in der Cafeteria des Beth Israel skizziert hat, während er billigen, lauwarmen Kaffee trank, nach Desinfektionsmittel und Tod stinkend. Ein chlorblaues Viereck an einem Strand aus hellem Weiß. Steril, rechtwinklig, elementar.
    Ein geordneter Anblick.
    Und das Leben, das dazu gehörte. Jeden Morgen aufstehen, in seiner kleinen Sonnenveranda Platz nehmen mit der Zeitung und einem Croissant, frischen, teuren Kaffee trinken, serviert von einem Butler namens Kofi, den er mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher