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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Autoren: Taiye Selasi
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musst etwas tun.
Irgendetwas

    Er schaute zur Krankenschwester.
    Eine Trinkerin, würde er schätzen, nach dem Bauch und der Rosazea zu urteilen. Irisch, nach dem Süd-Bostoner »a« zu urteilen. Aber keine Spur von der Bigotterie, die oft damit einhergeht, und sanfte Augen, grau-blau, leuchtend. Diese Frau schaffte es, die Stirn zu runzeln und gleichzeitig zu lächeln. Mitfühlend. Während Fola Blut aus seinem Arm kratzte. »Wo ist sie hingebracht worden?«, fragte er, obwohl er es wusste.
    Die Schwester lächelte stirnrunzelnd. »Auf die N.I.C.U.«
     
    Er ging in den Warteraum.
    Olu blickte hoch.
    Er setzte sich neben Olu, legte eine Hand auf sein Knie. Olu legte Achebe weg und schaute auf sein Knie, als würde er jetzt erst merken, dass es wippte. »Pass auf deinen Bruder und deine Schwester auf. Ich bin gleich wieder da.«
    »Wohin gehst du?«
    »Ich will nach dem Baby sehen.«
    »Kann ich mit?«
    Kweku warf einen Blick auf die Zwillinge.
    Ein lustiges japanisches Holzpuzzle. Sie schliefen wie seine Mutter. Olu betrachtete die beiden ebenfalls. Dann warf er Kweku einen flehenden Blick zu.
    »Gut. Komm mit.«
     
    Sie gingen schweigend den Krankenhausflur entlang. Vor ihnen sein Kameramann, rückwärts gehend. In dieser Szene: Ein hochangesehener Arzt geht mit energischen Schritten den Gang hinunter, um seine unrettbare Tochter zu retten. Ein Western. Wäre gut, wenn er eine Waffe hätte. Einen kleinen sechsschüssigen Revolver, Silber. Zwei. Etwas mit mehr Glanz als ein Hopkins-Arzt. Ein klarerer Gegenspieler wäre auch gut. Oder ein Gegenspieler, der weniger anspruchsvoll ist als die Grundregeln der medizinischen Wissenschaft. Als die Statistik.
    Jetzt, Olu: »Und?«
    Ende der Szene.
    »Nichts.« Kweku lachte leise. »Nur müde, mehr nicht.« Er tätschelte seinem Sohn den Kopf. Oder, genauer gesagt, die Stirn seines Sohnes, weil der Kopf nicht mehr da war, wo er sich in seiner Erinnerung befand. Kweku musterte Olu aufmerksam, überrascht von seiner Größe (und von anderen Dingern, die er gesehen, aber noch nicht richtig registriert hatte: der breite Latissimus dorsu, der große Rückenmuskel, das kantige Kinn, die Yoruba-Nase, Folas Nase, breit und gerade, die straffe Haut, die gleiche Farbe wie seine und glatt wie ein Babypopo, noch jetzt in der Pubertät). Er war nicht hübsch wie Kehinde – der wie ein Mädchen aussah: ein unmögliches, unmöglich schönes Mädchen –, aber er war im Laufe eines einzigen Wochenendes, so schien es ihm, ein wirklich sehr gut aussehender junger Mann geworden. Er drückte Olus Schulter, um ihn zu beruhigen. »Mir geht’s gut.«
    Olu machte ein ernstes Gesicht, angespannt. »Ich meine das Baby. Was ist es? Welches Geschlecht?«
    »Ach so. Richtig.« Kweku lächelte. »Es war ein Mädchen«, dann: »Es ist ein Mädchen«. Aber zu spät. Olu hatte die Zeit gehört (»war«) und musterte ihn misstrauisch.
    »Was ist mit dem Baby?«, fragte er, seine Stimme angespannt.
    »Der Fluch ihres Geschlechts. Ungeduld.« Kweku blinzelte. »Sie konnte nicht warten.«
    »Kann man sie retten?«
    »Unwahrscheinlich.«
    »Kannst du’s?«
    Kweku lachte jetzt laut, ein unerwartetes Geräusch in der Stille. Er tätschelte Olus Kopf, diesmal erwischte er die Haare. Dass sein ältester Sohn seine Fähigkeiten als Arzt so hoch schätzte, erstaunte ihn immer wieder und freute ihn. Versöhnte ihn. Sein anderer Sohn interessierte sich überhaupt nicht dafür, was er tat, obwohl sie alle von seiner Arbeit lebten. Kweku nahm das nicht persönlich. Wenigstens dachte er das. Wenigstens ließ er es sich nicht anmerken, wenn der Kameramann dabei war. Er war ein intelligenter Vater, zu rational, um ein Lieblingskind zu haben. Und ein richtiger Mann, der über solchen kleinlichen Unsicherheiten steht. Und ein hochangesehener Arzt, einer der besten auf seinem Gebiet,
verdammt nochmal
!, ob es nun Kehinde interessierte oder nicht. Außerdem. Der Junge war nicht zu beeindrucken. Ewig gleichgültig. Alle seine Lehrer sagten das, Jahr für Jahr. Außerordentliche Begabung, beispielhaftes Verhalten, aber die Schule interessiert ihn nicht. Was tun?
Kehinde interessiert gar nichts
, sagte ihnen Kweku.
Außer Taiwo
. Immer außer Taiwo.
    »Nein«, antwortete er Olu, und sein Lachen blieb, als Lächeln. Olus Augen ruhten seitlich auf seinem Gesicht. Dann entfernten sie sich. Sie gingen weiter den Gang entlang, schweigend. Plötzlich blickte Olu hoch.
    »Doch, du kannst es.«
     
    Als Kweku viele Jahre später an
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