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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Autoren: Taiye Selasi
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undurchschaubaren Gründen, die Olu nicht ahnen kann und die er, zur Unwissenheit verdammt, nicht verzeihen kann – blieb sein Vater liegen, Kweku Sai, die Große Hoffnung der Ga, der verlorene Sohn, das verlorene Wunderkind, lag einfach da in seinen Schlafsachen und tat gar nichts, bis die erbarmungslose Sonne aufging, weniger ein Aufgang als ein Aufstand, Tod dem fahlen Grau durch das goldene Schwert, während drinnen die Ehefrau die Augen aufschlug und die Pantoffeln in der Tür stehen sah. Und weil sie das seltsam fand, ging sie ihn suchen und fand ihn. Tot.
     
    Ein außergewöhnlicher Chirurg.
    Und ein gewöhnlicher Herzinfarkt.
    Durchschnittlich hat man vierzig Minuten zwischen Beginn der Attacke und Tod. Also selbst
wenn
es stimmt, dass solche Dinge »manchmal« passieren, das heißt, wenn es stimmt, dass gesunde Herzen sich »manchmal« verkrampfen, einfach so, aus heiterem Himmel, wie ein Wadenkrampf, besteht immer noch die Frage der Zeit. Die ganzen Minuten dazwischen. Zwischen dem ersten Stich und dem letzten Atemzug. Speziell diese Momente faszinieren Olu, er ist besessen von ihnen, schon sein ganzes Leben, in der Jugend als Sportler, dann später als Arzt. Die Momente, die das Ergebnis bestimmen.
    Die stillen Momente.
    Dieses zerrissene Schweigen zwischen Auslöser und Handlung, wenn sich das Denken nur auf das konzentriert, was der Augenblick fordert, und die ganze Welt sich verlangsamt, als wollte sie sehen, was passiert. Wenn der eine handelt und der andere nicht. Die Momente, nach denen es
zu spät
ist. Nicht das Ende selbst – diese wenigen, verzweifelten und schrillen Sekunden, die dem endgültigen Signalton vorausgehen oder dem langgezogenen Piepsen der Nulllinie –, sondern die Stille davor, die Unterbrechung des Geschehens, die Pause. Diese Pause gibt es immer, das weiß Olu, ausnahmslos. Die Sekunden, gleich nachdem die Pistole losgegangen ist und der Läufer unten bleibt oder zu früh hochkommt. Oder nachdem das Schussopfer spürt, wie die Kugel seine Haut zerreißt, und mit der Hand nach der Wunde tastet oder nicht. Die Welt steht still. Ob der Läufer gewinnt und ob der Patient durchkommt, hat letzten Endes weniger damit zu tun, wie er die Linie überquert, als vielmehr damit, was er in den Augenblicken kurz davor getan hat. Kweku hat nichts getan, und Olu weiß nicht, warum.
    Wie konnte sein Vater nicht merken, was los war? Und wenn er es merkte, wie konnte er dann dort liegenbleiben, um zu sterben? Nein. Irgendetwas musste
passiert
sein, was ihm die Orientierung nahm, ein überwältigendes Gefühl, eine geistige Verwirrung. Olu weiß nicht, was es war. Er weiß nur so viel: ein aktiver Mann, unter sechzig, keine Krankheiten bekannt, aufgewachsen mit Frischwasserfisch, läuft jeden Tag fünf Meilen, vögelt eine attraktive Dorfidiotin – man kann sagen, was man will, aber diese neue Ehefrau ist keine Krankenschwester. Es ist sinnlos, Vorwürfe zu erheben, aber es hätte vielleicht Hoffnung gegeben, die richtige Herzdruckmassage/wenn sie aufgewacht wäre – aber so ein Mann stirbt nicht in einem Garten an einem Herzstillstand.
    Etwas muss ihn zum Stillstand gebracht haben.

Drei
    Tautropfen auf Gras.
    Tautropfen auf Grashalmen, wie Diamanten, großzügig verstreut aus der Tasche eines Elementargeistes, der zufällig vorbeikam und mit leichten, geschmeidigen Schritten durch Kweku Sais Garten ging, kurz bevor Kweku selbst dort erschien. Der ganze Garten glitzert, blinzelt und kichert, wie Schulmädchen, die verlegen verstummen, wenn der Liebste sich nähert. Glitzernder Mangobaum, Herrscher, strotzend im Zentrum, mit den kräftigen, leuchtend grünen Blättern und den leuchtend gelben Früchten; glitzernder Brunnen, jetzt voller Risse und umgeben von Unkraut, das Weiß blüht, aber die Statue steht noch da, die »Mutter von Zwillingen«,
iya-ibeji
, ein Geschenk für seine Exfrau Folasadé, jetzt verlassen im Brunnen, mit ihren handgemeißelten Zwillingen; glitzernde Blumen, die Folasadé an ihren Blüten, ihren Gesichtern erkennen konnte, die englischen Namen, die lateinischen Namen, eine Million verschiedener Rosatöne; leuchtender Himmel, das weiche Grau des Südens ohne Sonnenlicht, glitzernde Wolken an den Rändern.
    Glitzernder Garten.
    Glitzernd nass.
    Kweku bleibt auf der Schwelle stehen und starrt hinaus, atemlos, eine Schulter an die halb offene Schiebetür gelehnt. Er denkt vor sich hin, ein Stechen in der Brust, dass die Welt manchmal zu schön ist. Dass sie einfach
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