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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen
Autoren: Gene Wolfe
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war nicht Thecla; seine Geschichte könnte nicht die gleiche wie die meine sein. Aber ich hatte die kreisenden Korridore der Zeit hinter dem neckischen Gesicht mit den heiteren braunen Augen gesehen. Die Liebe ist eine Plage, eine mühsame, für jeden Folterer; und selbst wenn ich die Zunft auflösen sollte, würde Eata ein Folterer werden wie jedermann, der angehalten ist, Wohlstand zu verachten, ohne den man weniger als ein Mensch ist, und aufgrund seiner Natur Schmerzen zufügt, ob er wollte oder nicht. Er dauerte mich, und noch mehr dauerte mich Maxellindis, das Matrosenmädchen.
     
    Ouen und ich gingen ins Haus, während Roche, Drotte und Eata in einiger Entfernung Wache hielten. Als wir vor der Tür standen, konnte ich von drinnen Dorcas’ weiche Schritte hören.
    »Wir werden dir nicht sagen, wer du bist«, sprach ich zu Ouen. »Und wir können dir nicht sagen, was du vielleicht werden wirst. Aber wir sind dein Autarch, und wir sagen dir, was du tun mußt.«
    Ich hatte keine weitere Erklärung, aber er brauchte keine. Wie der Kastellan sank er sofort auf die Knie.
    »Wir haben die Folterer mitgebracht, damit du wüßtest, was dich erwarten würde, solltest du dich als ungehorsam erweisen, denn wir wollen nicht, daß du ungehorsam wärst, aber wissen jetzt, nachdem wir dich kennengelernt haben, daß sie kaum erforderlich gewesen wären. Es ist eine Dame in diesem Haus. Du wirst zu ihr gehn. Erzähl ihr deine Geschichte, wie du sie uns erzählt hast, und bleib bei ihr und beschütze sie, auch wenn sie versucht, dich fortzuschicken!«
    »Ich werde mein Bestes tun, Autarch«, sagte Ouen.
    »Wenn du kannst, so überzeuge sie davon, diese Stadt des Todes zu verlassen. Bis dahin geben wir dir dies.« Ich entnahm die Pistole und reichte sie ihm. »Sie ist eine Wagenladung Chrysos wert, aber so lange ihr hier seid, ist sie euch viel dienlicher als Gold. Wenn ihr in Sicherheit seid, kaufen wir sie zurück, wenn du willst.« Ich zeigte ihm, wie die Waffe zu bedienen sei, und ging davon.
     
    Nun war ich allein – und ich bezweifle nicht, daß manche, die diese allzu kurze Erzählung eines ungewöhnlich ereignisreichen Sommers lesen, sagen werden, daß dies nichts Neues für mich sei. Jonas, mein einziger wahrer Freund, ist in seinen Augen lediglich eine Maschine gewesen; Dorcas, die ich nach wie vor liebe, ist in ihren Augen bloß ein Gespenst.
    Ich glaube nicht, daß dem so ist. Wir wählen das Alleinsein – oder wählen es nicht –, indem wir beschließen, wen wir als Gefährten annehmen und wen wir zurückweisen. Also ist ein Eremit in einer Berghöhle nicht einsam, denn die Vögel und Kaninchen, die Eingeweihten, deren Worte in seinen »Waldbüchern« leben, und die Winde – Boten des Increatus – sind seine Gefährten. Ein anderer Mensch, der inmitten von Millionen lebt, kann hingegen allein sein, weil es nichts als Feinde und Opfer um ihn herum gibt.
    Agia, die ich vielleicht geliebt hätte, war lieber ein weiblicher Vodalus geworden und hatte sich das, was in den Menschen am lebendigsten ist, zum Widersacher erkoren. Ich, der ich Agia hätte lieben können und Dorcas innig, aber vielleicht nicht innig genug liebte, war nun allein, weil ich Teil ihrer Vergangenheit geworden war, die sie mehr liebte, als sie mich je (außer, wie ich meine, zu Beginn) geliebt hatte.
     

 
Auferstehung
     
    Es bleibt fast nichts mehr zu erzählen. Nun graut der Morgen, und wie ein blutiges Auge geht die Sonne auf. Der Wind bläst kalt durch die Fenster. In wenigen Augenblicken wird ein Diener dampfendes Geschirr hereintragen; mit ihm kommt gewiß der altersgebeugte Vater Inire, um die letzten verbleibenden Momente zur letzten Rücksprache zu nützen; der alte Vater Inire, schon soviel länger am Leben als diese kurzlebige Rasse; der alte Vater Inire, der die rote Sonne, wie ich fürchte, nicht lange überleben wird. Wie verärgert wird er sein, wenn er feststellt, daß ich die Nacht durchwacht und schreibend in diesem Lichtgaden gesessen habe.
    Bald muß ich in die argentweiße Robe von der Farbe, die strahlender ist als Weiß, schlüpfen. So sei’s denn.
    Ich werde lange, endlose Tage auf dem Schiff verleben. Ich werde lesen. Ich muß noch so viel lernen. Ich werde schlafen, in meiner Koje dösen, den Jahrhunderten lauschen, die den Schiffsrumpf umspülen. Dieses Manuskript will ich Meister Ultan senden; aber während ich an Bord des Schiffes weile und nicht schlafen kann und des Lesens müde bin, will ich es noch einmal
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