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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen
Autoren: Gene Wolfe
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mehreren Stämmen aufgebaut sind.
     
    Der Blutacker liegt ein weites Stück vom Fluß entfernt. Wir vier lenkten auf dem Weg dorthin gar manch verwunderten Blick auf uns, wurden aber von niemand aufgehalten. Das Gasthaus Zur Verlorenen Liebesmüh, das mir immer als die unsteteste aller menschlichen Behausungen vorgekommen war, stand noch wie an jenem Nachmittag, als ich es mit Agia und Dorcas aufgesucht hatte. Der dicke Wirt wäre fast in Ohnmacht gefallen bei unserm Anblick; ich hieß ihn, Ouen, den Kellner, zu rufen.
    Ich hatte ihn mir an jenem Nachmittag, als es für Dorcas, Agia und mich serviert hatte, gar nicht richtig angesehen. Das holte ich nun nach. Er war ein kahl werdender Mann, etwa so groß wie Drotte, mager, mit verkniffener Miene und dunkelblauen Augen; die Züge seiner Augen und seines Mundes hatten eine Feinheit an sich, die ich auf der Stelle wiedererkannte.
    »Weißt du, wer wir sind?« wollte ich von ihm wissen.
    Bedächtig schüttelte er den Kopf.
    »Hattest du nie einen Folterer zu bedienen?«
    »Einmal, in diesem Frühling, Sieur“, erwiderte er. »Und ich weiß, diese beiden Herren in Schwarz sind Folterer. Aber Ihr, Sieur, seid kein Folterer, auch wenn Ihr so gekleidet seid.«
    Dazu äußerte ich mich nicht. »Hast du mich noch nie gesehn?«
    »Nein, Sieur.«
    »Nun gut, mag ja sein.« (Wie seltsam es war festzustellen, daß ich mich so verändert hatte.) »Ouen, da du mich nicht kennst, wär’s wohl gut, wenn ich dich besser kennenlernen würde. Sag mir, wo du geboren bist, wo deine Eltern gelebt haben und wie du zu einer Anstellung in diesem Gasthaus gekommen bist.«
    »Mein Vater hatte einen Laden, Sieur. Wir wohnten im Alten Torviertel auf dem Westufer. Mit zehn Jahren oder so hat mich mein Vater als Schankgehilfen in ein Gasthaus gegeben. Dabei ist’s geblieben, und ich habe seither in verschiedenen Gaststätten gearbeitet.«
    »Dein Vater hatte einen Laden. Und was ist mit deiner Mutter?«
    Ouens Miene hatte zwar noch die Ehrerbietigkeit eines Kellners an sich, aber aus seinen Augen sprach Verwunderung. »Ich habe sie nicht gekannt, Sieur. Cas hieß sie, aber sie starb, als ich noch ganz klein war. Im Wochenbett, sagte mein Vater.«
    »Aber du weißt, wie sie ausgesehen hat?«
    Er ruckte. »Mein Vater hatte ein Medaillon mit ihrem Bildnis. Als ich ihn mit zwanzig Jahren oder so einmal besuchte, fand ich heraus, daß er es hatte versetzen müssen. Damals konnte ich mir ein bißchen Geld verdienen, indem ich einem Optimaten behilflich war – hauptsächlich den Damen Botschaften überbrachte und vor gewissen Türen Wache stand und so weiter. Ich ging also zum Pfandleiher und löste das Medaillon aus. Ich trag’s immer bei mir, Sieur. An einem Ort wie diesem, wo in einem fort Leute ein und aus gehen, ist’s am besten, es am Leib zu behalten.«
    Er griff in sein Hemd und zog ein Cloisonne-Medaillon hervor. Das Bild darin zeigte das Halbprofil von Dorcas, einer Dorcas, die kaum jünger war als die Dorcas, wie ich sie kannte.
    »Du sagst, du seist mit zehn Schankgehilfe geworden, Ouen. Aber du kannst lesen und schreiben.«
    »Ein bißchen, Sieur.« Das war ihm anscheinend peinlich. »Ich habe oft gefragt, was irgendeine Schrift bedeutet, und ich hab’ ein gutes Gedächtnis.«
    »Du hast etwas geschrieben, als der Folterer in diesem Frühling hier gewesen ist«, erklärte ich. »Weißt du noch, was du geschrieben hast?«
    Ängstlich schüttelte er den Kopf. »Nur ’nen Zettel, um das Mädchen zu warnen.«
    »Ich weiß es noch. Du hast geschrieben: Die Frau bei dir war schon einmal hier. Trau ihr nicht! Trudo sagt, der Mann sei ein Folterer. Du bist meine wiedergekehrte Mutter.«
    Ouen steckte sich das Medaillon wieder unters Hemd. »Sie hat ihr nur so ähnlich gesehen, Sieur, das ist alles. Als ich noch jünger war, dachte ich mir immer, eines Tages würde ich auch so eine Frau finden. Wißt Ihr, ich sagte mir, ich bin ein besserer Mann als mein Vater, und er hatte schließlich auch eine gefunden. Aber ’s ist mir nicht geglückt, und nun bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob ich ein besserer Mann bin.«
    »Damals wußtest du noch nicht, wie die Tracht eines Folterers aussieht«, sagte ich. »Aber dein Freund Trudo, der Stallknecht, der wußte es. Er wußte viel mehr als du über die Folterer. Deswegen hat er sich auch aus dem Staub gemacht.«
    »Ja, Sieur. Er ist davongerannt, nachdem er erfahren hat, daß der Folterer nach ihm verlangt.«
    »Aber du hast die Unschuld in diesem
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