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Die Zitadelle des Autarchen

Die Zitadelle des Autarchen

Titel: Die Zitadelle des Autarchen
Autoren: Gene Wolfe
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schreiben – Wort für Wort, wie ich es hier niedergelegt habe. Ich will es Das Buch der Neuen Sonne nennen, denn dieses Buch, nun seit so vielen Zeitaltern verschollen, soll ihr Kommen vorhergesagt haben. Und wenn es wiederum vollendet ist, will ich diese zweite Handschrift in einen Bleikoffer verschließen und den Meeren von Raum und Zeit übergeben.
    Habe ich euch alles erzählt, was ich versprochen habe? Ich weiß, ich habe im Text verschiedentlich angekündigt, daß dieses oder jenes im Laufe der Geschichte klargestellt würde. Nichts davon ist mir entfallen, aber freilich fällt mir noch so viel mehr ein. Bevor ihr zum Schluß kommt, ich hätte euch betrogen, lest die Geschichte noch einmal, wie ich sie noch einmal schreiben werde.
    Zwei Dinge sind mir klar. Zum einen bin ich nicht der erste Severian. Jene, welche die Korridore der Zeit durchwandern, sahen mich den Phönixthron besteigen, weshalb der Autarch, dem von mir berichtet wurde, im Azurnen Haus lächelte und die Undine mich nach oben stieß, als es schien, ich müsse ertrinken. (Doch sicherlich ertrank dieser erste Severian nicht. Etwas hatte bereits damit begonnen, mein Leben umzuformen.) Ich will, obwohl es nur eine Mutmaßung sein kann, die Geschichte des ersten Severian raten.
    Auch er ist wohl bei den Folterern aufgewachsen. Auch er wurde nach Thrax entsandt. Auch er floh aus Thrax, und obschon er nicht die Klaue des Schlichters trug, wurde er wohl in den Krieg im Norden verwickelt – gewiß hoffte er, dem Archon zu entkommen, indem er im Heer Unterschlupf suchte. Wie er dort dem Autarchen begegnet ist, das kann ich nicht sagen. Aber er begegnete ihm und wurde genau wie ich (er war und ist letztendlich ich) seinerseits Autarch und reiste über die Sterne hinaus. Dann gingen jene, welche die Korridore der Zeit durchwandern, zu der Zeit zurück, wo er noch jung war, womit meine eigene Geschichte – wie sie hier dargelegt ist – begann.
    Das zweite ist dies: Er wurde nicht in seine eigene Zeit zurückgebracht, sondern selbst ein Wanderer in den Korridoren. Ich weiß nun, wer das »Haupt des Tages« ist und warum Hildegrin, der zu nahe gewesen ist, bei unsrer Begegnung untergegangen ist und die Hexen geflohen sind. Ich weiß auch, in wessen Mausoleum, jenem kleinen Steinbau mit seiner Rose, seiner Wasserfontäne und seinem fliegenden Schiff, ich als Kind geweilt habe. Ich habe die Ruhe meines eigenen Grabes gestört, in das ich mich nun legen werde.
     
    Als Drotte, Roche, Eata und ich in die Zitadelle zurückgekehrt waren, erhielt ich dringende Nachricht von Vater Inire und vom Haus Absolut, aber dennoch zauderte ich. Den Kastellan bat ich um eine Karte. Nach vielem Suchen konnte er mir eine vorlegen, eine große, alte, die an vielen Stellen schon abgeblättert war. Darauf war die Ringmauer noch ganz zu sehen, und die Namen der Türme waren nicht diejenigen, die ich kannte – ja nicht einmal dem Kastellan waren sie vertraut; ferner waren Türme zu sehen, die nicht in der Zitadelle stehen, und Türme in der Zitadelle waren nicht enthalten.
    Ich ließ einen Flieger rufen und sauste einen halben Tag lang zwischen den Türmen umher. Gewiß habe ich die Stelle gar oft gesehen, sie dann aber einfach nicht wiedererkannt.
    Schließlich begab ich mich mit einer hellen, verläßlichen Lampe abermals in unsre Oubliette, eilte Treppe um Treppe tiefer und gelangte schließlich in das unterste Geschoß. Was ist es wohl, frage ich mich, das unterirdischen Orten eine so große Gabe dafür verleiht, die Vergangenheit zu erhalten? Eine der Schalen, worin ich Suppe zu Triskele gebracht hatte, stand noch da. (Triskele, der unter meiner Hand wieder zum Leben erwacht war – zwei Jahre bevor ich die Klaue trug.) Ich folgte Triskeles Spuren wie damals als Lehrling abermals zu jener vergessenen Öffnung und sodann meinen eigenen in das dunkle Stollengewirr.
    Im gleichmäßigen Schein der Lampe entdeckte ich, wo ich seine Fährte verloren hatte, indem ich geradeaus ging, während Triskele seitwärts bog. Nun war ich versucht, anstatt meiner ihm zu folgen, um festzustellen, wo er ins Freie gefunden habe, und so vielleicht in Erfahrung zu bringen, wer ihn aufgenommen habe und zu wem er zurückgelaufen sei, wenn ich ihm hin und wieder in den Seitengassen der Zitadelle begegnet war. Vielleicht werde ich das nachholen, wenn ich wieder auf die Urth komme, falls ich überhaupt zurückkomme.
    Aber wiederum wandte ich mich nicht seitwärts, sondern folgte dem Jüngling, der ich
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