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Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)

Titel: Die zerbrochene Puppe: Ein Steampunk-Roman (German Edition)
Autoren: Judith Vogt , Christian Vogt
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und Nase, während sie auf den mächtigen Schatten zeigte, der sich schräg hinter mir befand. Eiken warf sich gegen meinen Stuhl, schleuderte mich damit zu Boden und sich neben mich, und während ich noch versuchte, neben all den Splittern, in die sich mein Kopf – nein, Ynges Kopf – aufgelöst hatte, einen klaren Gedanken zu fassen, sah ich die Umrisse eines Luftschiffes, das dem Turm seine Breitseite zuwandte. Eiken packte die Kupferdrähte, die von der schmelzenden Maschine zu meiner Brust liefen und riss sie mitsamt der Pflaster ab, während ich auf allen vieren zu Ynge kriechen wollte.
    Die Krankenschwester schrie erneut gellend auf – eine ganze Salve an Mündungsfeuern zuckte – die Fensterscheiben zerbarsten und gaben Raum für die Kälte der Nacht und die Geschosse der Likedeeler. Mit grimmiger Befriedigung sah ich, dass der Leib der Krankenschwester von einer Kanonenkugel erfasst, zerfetzt und zerschmettert wurde. Sollten seine Puppen doch auch alle zerspringen! Fosite hatte Recht gesprochen.
    Trümmer regneten auf uns herab, Befehle gellten, auf der Treppe dröhnten Stiefel, auf Æsta läuteten Alarmglocken, als die nächtliche Gefahr erkannt wurde. Ich kauerte mich zusammen und atmete nicht mehr. Ich hatte mich schon viel zu oft damit abgefunden, dass dieser Tag mein Ende war.
    Tomke war die Erste, die sich von der Frijheid in den Turm schwang. „Æsta den Tod!“, schrie sie mit gezogener Pistole und schoss der Wache des Herzogs in die Brust, bevor sie ihr kurzes Schwert aus der Scheide springen ließ. Ihr Lachen gellte durch den implodierenden Raum.
    Tjarko folgte, dann Arfst, Wubke und Friedrick, alle mit gezückten Messern, Speeren, Rundschilden oder Pistolen. Als die Spitalsmänner in die Folterstube des Professors eindrangen, sah ich, dass Roþblatt zwischen ihnen ins Treppenhaus entwischte. In der Hand hielt er meine Ynge. Ich jaulte auf, griff nach dem Stock, der neben meiner Jacke hin- und herrollte, und stemmte mich damit und mit einem unirdischen Laut des Schmerzes auf die Beine.
    Jemand rief meinen Namen – doch wenig war nun noch wichtig, und mein Name gehörte mit Sicherheit nicht dazu.

    Sie hatte gesprochen. Sie hatte gesprochen, und jeder hatte es gehört, und sie hatte mein Leben damit retten wollen, und nun war sie in Porzellansplitter zerborsten, meine arme, innig geliebte Ynge.
    Schüsse knallten, Holzstühle zersplitterten, Schreie und der Lärm von Propellern, Dampfmaschinen sowie der kollabierenden elektrischen Maschinerie des Professors ließen den Raum in einem Inferno versinken. Direkt vor mir fiel ein Wachmann einer Musketenkugel zum Opfer, und ich nutzte die Lücke, um Roþblatt ins Treppenhaus zu folgen. Meine versehrten Gliedmaßen gehorchten mir, doch sie taten es mit einem Schmerz, der mein Sichtfeld an den Rändern schwarz werden ließ und androhte, mich auf kurz oder lang einfach zu Boden zu schicken. Ich presste die Kiefer aufeinander, schmeckte Blut und den Mut der Verzweiflung. Im Treppenhaus schrillte die altbekannte Alarmglocke des Spitals, und aus den unteren Stockwerken erscholl eine Kakophonie aus Angst- und Wutschreien – die Laute der Gefangenen, der Kranken, der Gepeinigten, die nun aus ihren Betten und von ihren Bänken krochen. Befehle wurden gebrüllt, von Schlagstöcken wurde mit dumpfen Geräuschen Gebrauch gemacht. Ich presste mich in die enge Wendeltreppe, die ins oberste Stockwerk des Spitalturms hinaufführte. Der vertraute Paternoster führte nicht bis hier hinauf, und so konnte Roþblatt nur über die Treppe geflüchtet sein. Für einen kurzen Moment war die Welt im Chaos versunken und achtete meiner nicht. Ich atmete gepresst. Mein Körper fühlte sich an, als sei er von winzigen brennenden Fäden durchzogen worden, wie die Haut der tätowierten Friesen.
    Roþblatt war nicht nach unten geflohen – nicht zu jenen, die er vorgeblich geheilt und unter der Handauf seine seelenlose Art und Weise erforscht hatte. Er würde sich verkriechen, bis seine Probleme gelöst waren, bis die Luftschiffe des Herzogs, seines Verbündeten, die friesische Meute bezwungen hatten. Explosionen erschütterten den Grund und übertrugen sich in die Spitze des Turms. Ich packte den Handlauf der Wendeltreppe und zog mich stöhnend die Stufen hinauf in die Dunkelheit. Der Turm wankte unter mir, knirschend gaben die Ziegelsteine Mörtel und Staub von sich.
    Er würde einstürzen. Wir würden alle mit ihm in den Tod stürzen.
    Die Treppe endete unter einer Falltür aus
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