Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zerbrochene Kette - 6

Die Zerbrochene Kette - 6

Titel: Die Zerbrochene Kette - 6
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
glauben die Leute, daß wir morgen früh noch hiersein werden. Sorgt dafür, daß die Pferde, die wir als Packtiere benutzt haben, jederzeit für Melora und ihre Tochter gesattelt werden können…«
Langsam, langsam sank die rote Sonne auf die Hügel hinab. Rohana meinte, in ihrem ganzen Leben habe sich noch kein Tag so in die Länge gezogen, jede Stunde wurde zu Menschenaltern. Nicht einmal der Tag; als mein zweiter Sohn geboren wurde, als ich stundenlang auf einem Streckbett des Schmerzes lag und mein Körper zerrissen wurde… da konnte doch wenigstens noch etwas getan werden. Jetzt kann ich nur warten… und warten… und warten…
Kindra ging an ihr vorüber und sagte leise: »Dieser Tag muß Eurer Verwandten noch länger vorkommen, Lady.« Rohana versuchte zu lächeln. Das stimmte. »Betet zu Eurer Göttin, daß bei Lady Melora nicht heute die Wehen einsetzen«, fuhr Kindra fort. »Das wäre das Ende unserer Hoffnungen. Wir könnten immer noch ihre Tochter retten, aber wenn das Große Haus hell erleuchtet ist und Hebammen hin und her rennen… dann mißlänge uns vielleicht auch das.«
Rohana holte tief Atem. Und sie ist ihrer Zeit so nahe… dachte sie, böser Vorahnungen voll.
Und doch fand auch dieser Tag, wie es allen Dingen dieser Welt bestimmt ist, sein Ende. Die Trockenstädterinnen kamen, verschleiert und kettenklirrend, um Wasser am Brunnen zu kaufen. Wieder blieben sie ein Weilchen, trotz ihrer Verachtung fasziniert, und beobachteten, wie die Amazonen umhergingen, die Pferde fütterten, ihr Essen kochten. Rohana half, so gut sie konnte; es war leichter, wenn ihre Hände eine Beschäftigung hatten. Sie sah die Trockenstädterinnen kommen und gehen und dachte an Melora, die das Gewicht der juwelenbesetzten Kette an ihren Händen und das Gewicht von Jalaks verhaßtem Kind in ihrem Leib trug. Sie war als Mädchen so leicht und flink, immer zum Tollen und Lachen aufgelegt…
Die Mahlzeit war zu Ende. Kindra machte Rafaella ein Zeichen, ihre Harfe zu nehmen und ein paar Akkorde zu greifen. Mit gedämpfter Stimme sagte sie: »Kommt nahe heran und paßt auf. Tut, als ob ihr nur der Musik zuhörtet.«
Rohana fragte: »Könnt Ihr ›Die Ballade von Hastur und Cassilda‹ spielen?«
»Ich glaube schon, Lady.«
»Ich will sie singen. Sie ist sehr lang, und meine Stimme«, setzte sie ehrlich hinzu, »ist so schwach, daß kein Vorübergehender es seltsam finden wird, wenn ihr sehr leise seid, damit ihr mich versteht – sie ist jedoch stark genug, daß Kindra noch leiser sprechen und doch verstanden werden kann.«
Kindra nickte. Es freute sie, daß Rohana ihren Plan so schnell begriff. Rafaella spielte eine kurze Einleitung, und Rohana begann:
»Der See erglänzt in Sternenpracht, Die Heide lag in dunkler Nacht,
Still waren Feld und Baum und Stein…«
    Die anderen Frauen scharten sich dicht um sie, als lauschten sie der alten Ballade. Rohana merkte, daß ihre Stimme schwankte, und kämpfte darum, sie ruhig zu halten. Es mußte ihr irgendwie gelingen, sich an all die endlosen Strophen zu erinnern und sie vorzutragen, während Kindra jeder einzelnen der Amazonen eingehende Anweisungen gab. Nimm dich zusammen, befahl sie sich. Das ist etwas, das du kannst, während die anderen die eigentliche Arbeit tun… die gefährliche Arbeit, das Kämpfen…
    Und doch sind sie Frauen. Ich bin mit der Vorstellung aufgewachsen, der Kampf sei für Männer; ich könnte niemals ein Messer ziehen, zustechen, Blut fließen sehen, vielleicht selbst verwundet werden, sterben…
    Sing, verdammt noch mal, Rohana! Hör auf zu denken, sing!
    »Am Strand strahlt auf ein heller Schein. Der Gott wie in Juwelen lag;
Cassilda sah es und erschrak.«
    Während sie in ihrem Gedächtnis nach den nächsten Zeilen suchte, hörte sie Kindra mit leiser, angespannter Stimme die Informationen wiederholen, die sie ihr gegeben hatte. Dabei zeigte die Anführerin auf den Plan, den sie beim Schein des Feuers in den Sand gekratzt hatte.
    »Jalak schläft hier, zusammen mit seinen Favoriten und Melora. Im Zimmer sind keine Wachen, aber gleich vor der Tür…«
    »Im Morgenlicht Camilla kam…« »Nein, verdammt noch mal, ich habe eine Strophe ausgelassen.« Ärgerlich auf sich selbst brach Rohana ab. Dann wurde ihr klar, daß es nicht darauf ankam. Es hörte ihr sowieso niemand zu.
    »Im Morgenlicht Camilla kam;
Der Gott die ird’sche Speise nahm Aus Kirschen, Wein und weißem Brot, Da schwand der Glanz, der ihn umloht. Cassilda Scheu nicht mehr empfand, Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher