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Die Zerbrochene Kette - 6

Die Zerbrochene Kette - 6

Titel: Die Zerbrochene Kette - 6
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Euch angreifen. Habt Ihr irgendeine Waffe?«
    »Hier.« Rohana zeigte den kleinen Dolch vor, den sie wie alle Comyn-Frauen zum Schutz ihrer eigenen Person bei sich trug. Rohana zitterte leicht. Die hartknochige Hand der Amazone legte sich auf ihre Schulter, nur leicht und für einen Augenblick, zögernd, als fürchte Kindra, die Edelfrau könne ihr Mitgefühl zornig zurückweisen. »Meine Dame, glaubt Ihr, wir hätten keine Angst? Wir haben nicht gelernt, uns nicht zu fürchten, sondern mit unserer Angst weiterzumachen, was die Frauen auf unserer Welt selten lernen.« Sie wandte sich ab, und ihre Stimme klang brüsk aus der Dunkelheit. »Komm, Nira, du gehst voran. Du kennst den Weg Schritt für Schritt, wir kennen ihn nur aus Lady Rohanas Zeichnungen und Karten.«
    Rohana, ans Ende der kleinen Gruppe von Frauen gedrängt, fühlte ihr Herz so laut klopfen, daß sie meinte, man müsse es in den staubigen, verlassenen Straßen hören. Sie bewegten sich wie Geister oder Schatten, hielten sich im Lee der Gebäude, stahlen sich auf lautlosen Füßen vorwärts.
    Die Stadt war ein Labyrinth. Und doch dauerte es nicht lange, bis die Frauen vor Rohana stehenblieben und dichtgedrängt über einen offenen, windgefegten Platz zu dem Großen Haus hinübersahen, wo Jalak von Shainsa herrschte. Das Haus war ein großes, viereckiges Gebäude aus hellgebleichtem Stein und schimmerte schwach im Licht eines einzelnen abnehmenden Mondes: eine blinde, fensterlose Front, eine Festung, die beiden Türen von hochgewachsenen Posten in Jalaks barbarischer Livree bewacht. Die Amazonen schlichen durch die Schatten und an dem Gebäude entlang. Rohana hatte Kindras Plan gehört und hielt ihn für gut. In den Trockenstädten wurde jede Außentür eines Hauses bewacht; zwei Posten konnten sie gegen einen direkten Angriff für unbegrenzte Zeit halten. Aber wenn sie irgendwie durch das kleine Seitentörchen in den Hof gelangten, den Garten – der zu dieser Stunde hoffentlich verlassen war – durchquerten und in das Haus durch die unbewachten Innentüren eindrangen, mochten sie auch in Jalaks Schlafzimmer gelangen.
    Während Rohana sang, hatte sie Kindra sagen hören: »Hoffen wir, daß in den Trockenstädten viele Monde lang Frieden geherrscht hat. Vielleicht haben die Posten dann Langeweile und sind nicht so wachsam wie gewöhnlich.«
    Rohana konnte den Posten an der Seitentür jetzt sehen. Evanda sei gelobt, nicht mehr als einer. Er lümmelte sich gegen die Wand. Sein Gesicht erkannte sie nicht, aber Rohana war Telepathin, und obwohl sie sich gar keine Mühe gab, empfing sie seine Gedanken deutlich: Langeweile, Überdruß, das Gefühl, ihm sei alles willkommen, sogar ein bewaffneter Angriff, was die Monotonie seiner Wache unterbrechen würde.
    »Gwennis«, flüsterte Kindra. »Du bist dran.«
    Absichtlich stieß Gwennis mit dem Fuß einen Stein gegen die Wand, und Rohana hörte die Anführerin der Amazonen denken: Dies ist der Augenblick des höchsten Risikos…
    Der Posten richtete sich auf, von dem Geräusch alarmiert.
Er ist wachsam, wir können ihn nicht überraschend angreifen. Deshalb müssen wir ihn von dem Tor weglocken, ihn mitten auf den Platz bringen, dachte Kindra.
Gwennis hatte Messer und Dolch abgelegt und den Verschluß ihrer Jacke ein Stückchen geöffnet. Sie schlenderte auf den mondbeschienenen Platz hinaus. Der Posten stand sprungbereit. Gleich darauf entspannte er sich. Es war ja nur eine Frau.
Wir übertölpeln ihn, ja. Wir ziehen Vorteil aus der jahrhundertelangen Verachtung der Trockenstädter für Frauen als hilflose, harmlose Haustiere. Opfer, dachte Kindra bitter.
Der Posten zögerte nicht länger als eine halbe Minute, bis er seinen Platz an der Tür verließ und entschlossen auf das junge Mädchen zuging. »He, Hübsche – fühlst du dich einsam? Eine von den Amazonen, wie? Hast du sie satt bekommen und siehst dich nun nach besserer Gesellschaft um?«
Gwennis hob den Blick nicht. Er kam schnell näher. »Ha – habe ich dich ohne das Messer erwischt, das ihr immer tragt? Jetzt wirst du erleben, was es bedeutet, in Wirklichkeit eine Frau zu sein. Wer weiß, vielleicht gefällt dir das sogar besser. Komm her, ich will dir was zeigen…« Er faßte nach dem Mädchen, zog es grob an sich und schleuderte es herum. Eine Hand preßte er Gwennis auf den Mund, um sie am Schreien zu hindern…
Seine Rede brach in einem erstickten Keuchen ab. Loris langes Messer, mit tödlicher Zielsicherheit geworfen, fuhr ihm in die Kehle.
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