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Die Zerbrochene Kette - 6

Die Zerbrochene Kette - 6

Titel: Die Zerbrochene Kette - 6
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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Gleich darauf beugte Lori sich über ihn und gab ihm den Todesstreich in die große Vene unterhalb des Ohrs. Kindra und Camilla zerrten ihn in den Schatten der Mauer, außer Sicht von zufällig Vorüberkommenden. Gwennis raffte sich auf und wischte sich angeekelt den Mund, als könne sie die rüde Berührung des Mannes abwischen. Kindra suchte an dem Gürtel des Toten, fand seine Schlüssel und probierte sie einen nach dem anderen an dem schweren Schloß aus. Von außen verschlossen, nicht von innen. Es soll eher seine Frauen an der Flucht hindern, als Eindringlinge abwehren.
Das Schloß ging schwer. Rohana kam es vor, als quietsche es in der stillen Straße laut genug, um die ganze Stadt aufzuwecken. Doch einen Augenblick später gab es nach, und die Tür schwang geräuschlos nach innen. Die Amazonen drängten sich hinein, drückten sich gegen die Hofmauer und schoben das Tor wieder zu.
Sie standen in einem stillen, leeren Garten. Hier im Trockenland wuchs wenig außer Dornbüschen, wenn es nicht eigens angepflanzt wurde. Aber Jalak, Tyrann von Shainsa, hatte keine Kosten gescheut, um für sich und seine verwöhnten Frauen und Favoriten eine Oase zu schaffen. Eine Vielzahl von Springbrunnen sprudelte, hohe Bäume reckten sich zum Himmel, Blumen im Überfluß verströmten einen süßen, feuchten, erdigen Geruch. Von der Skizze geleitet, die Rohana nach dem Rapport mit Melora angefertigt hatte, schlichen sich die Frauen den Ziegelweg entlang und blieben im Schatten einer Gruppe aus Schwarzfruchtbäumen stehen.
»Leeanne«, wisperte Kindra.
Die schlanke, geschlechtslose Gestalt entfernte sich in Richtung des Zimmers, wo Meloras zwölfjährige Tochter mit ihrer Kinderfrau schlief. Rohana ertappte sich bei der Überlegung, wie eine zum Neutrum gemachte Amazone von sich selbst denken mochte. Sicher empfindet sie sich nicht als Frau. Als Mann? Als etwas undefinierbares Drittes? Ungeduldig verscheuchte sie den Gedanken. Welcher Unsinn, mir darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen!
Die Gartentür war nicht bewacht, und dann waren sie innerhalb des Hauses. Rohana, die den Plan aus ihrem Rapport mit Melora genau im Gedächtnis hatte, ging sicher auf den bewachten Raum zu, in dem Jalak schlief. War Melora wach, hielt sie sich bereit, wartete sie auf sie? Den ganzen Nachmittag hatte Rohana der Versuchung widerstanden, einen telepathischen Kontakt mit ihrer Cousine herzustellen; jetzt gab sie ihr nach. Die lange brachgelegene Fähigkeit kehrte zurück, so daß es diesmal leichter ging.
– Melora, Melora! Und plötzlich überkam sie das halbvergessene Gefühl der Verschmelzung. Sie war Melora, sie…
    … Sie lag mit dem Gesicht zur Wand und zwang sich, ihre verkrampften Muskeln zu entspannen, geduldig zu sein, zu warten… Das schwere Kind in ihrem Leib strampelte heftig, und sie dachte müde: Du bist so stark und lebhaft, kleiner Sohn, und, Avarra erbarme sich meiner, ich wünsche dir nichts als den Tod. Es ist nicht deine Schuld, sondern dein Unglück, daß du Jalaks Sohn bist…
    Ob es wirklich heute nacht geschieht? Und die Wachposten… wie, wie? Seit nun mehr als zehn Jahren verfolgte sie die Erinnerung an ihren Pflegebruder Valentin, dem man nach unsagbaren Scheußlichkeiten bei lebendigem Leib die Finger abgeschnitten hatte… Sie sah ihn zerbrochen, sich windend, blutbedeckt… Oh,
    Evanda und Avarra, Aldones, Herr des Lichts, nicht auch noch Rohana…
    Nein! Daran darf ich jetzt nicht denken! Ich muß stark sein.
Mit aller Willenskraft zwang sie sich zur Ruhe.
Jalak lag im ersten, tiefen Schlaf. Neben ihm erkannte sie im blassen Mondschein, der durch das Fenster zum Hof fiel, die undeutlichen Gestalten seiner beiden Favoriten, die sein Bett teilten: Danette – nackt in ihr langes, aufgelöstes Haar eingehüllt, und Garris. Der Junge lag auf dem Rücken, an Jalaks langen Körper geschmiegt, und schnarchte ein bißchen. Anfangs hatte diese Demütigung sie zu Tränen und heftiger Auflehnung aufgeregt. Nach zehn Jahren war sie nur noch erleichtert, daß sie selbst sein Bett nicht mehr zu teilen brauchte.
Arme Danette, wie sie mich haßt, wie sie triumphierte, als sie meinen Platz in Jalaks Bett einnahm! Sie ahnt ja nicht, wie gern ich ihn ihr schon vor Jahren abgetreten hätte – und mein Kind haßt sie noch mehr als mich; sie weiß, daß sie unfruchtbar ist. Wenn ich es nur wäre… Garris wünsche ich nichts Böses. Seine Eltern haben ihn an die Bordelle in Ardcarran verkauft, als er noch nicht älter als Jaelle war
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