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Die Zeitfalle

Die Zeitfalle

Titel: Die Zeitfalle
Autoren: Terry Carr
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weiter.
    »Mach schnell, verdammt! Er entwischt uns.«
    Jorgan hatte sich nicht bewegt. Er beobachtete den Mann in den Ästen, der sich hangelnd und springend weiter entfernte. Die Bewegungen seines Körpers waren kraftvoll und anmutig wie die eines Ballettänzers.
    Gai riß die Energiewaffe aus ihrem Halfter, aber sie wußte, daß sie nicht gut genug schießen konnte. Sie rannte zu Jorgan und kreischte: »Schieß – schieß endlich! Er entkommt!«
    Jorgan reagierte nicht. Er stand wie angewurzelt, ließ die Arme hängen und starrte mit einem faszinierten und zugleich gequälten Ausdruck zu dem Mann in den Bäumen. Gai stieß ihre Waffe in seine Hand, schlang einen Arm um seinen Hals und küßte ihn.
    »Bitte«, sagte sie sanft.
    Der braune Fleck bewegte sich nicht länger. Er wartete in einem Baum, etwa siebzig Meter entfernt, ein undeutlicher Umriß, verborgen im Laub. Er fühlt sich sicher, dachte Thalvin. Aber ein guter Schütze ...
    Gai hob Jorgans Arm und hielt ihn in die Richtung des Ziels. Ihre großen blauen Augen blickten unverwandt ins Gesicht des jungen Mannes, fordernd und verheißend. Dann ließ sie seinen Arm in der Luft hängen und trat zur Seite.
    Jorgan zielte. Jorgan hielt seinen Atem an. Jorgan feuerte.
    Es gab einen Schrei. Einen Schrei jähen Schreckens und tödlichen Schmerzes. Der braune Fleck war verschwunden. Äste und Zweige zitterten, Laub rauschte. Einzelne Blätter lösten sich und sanken schaukelnd zu Boden. Der Wald war still.
    »Du hast ihn!« sagte Gai. »Du hast ihn erwischt!« Sie sprang hoch und klatschte in die Hände. Sie grinste. »Verdammt, Jorgan, was für ein Schuß! Du hast ihn getötet!«
    »Ja«, sagte Jorgan. Er ließ die Waffe fallen. »Ich habe ihn getötet.«
    »Laßt uns nachsehen«, sagte Thalvin.
    Sie gingen zu der Stelle, wo der Mann liegen sollte, aber er war nicht da.
    »Er muß hängengeblieben sein«, sagte Gai.
    »Ich werde nachsehen.« Thalvin nahm sein Traggestell vom Rücken und sprang nach dem untersten Ast. Er bekam ihn zu fassen, machte einen Aufschwung und arbeitete sich rittlings zum Stamm, wo er aufstehen und den nächsthöheren Ast erreichen konnte. Er war kein junger Mann mehr, und seine Körperkraft war nicht außergewöhnlich. Er bewegte sich langsam und vorsichtig, erprobte jeden Ast, bevor er ihm sein Gewicht anvertraute. Der Mann hing in acht oder neun Metern Höhe in einer Astgabel. In seiner Magengegend war ein Loch, in dem ein Fußball Platz gefunden hätte. Thalvin stieß den Körper aus der Astgabel und sah ihn fallen. Dann machte er sich an den Abstieg.
    Als er den Boden erreichte, war Gai allein. Sie hielt den abgeschnittenen Kopf des Mannes bei den Haaren. Die Augen waren geschlossen. Die kleine, etwas aufgestülpte Nase war beim Aufprall verletzt worden und blutete ein wenig. Das feine, langhaarige Fell um den durchschnittenen Hals troff von frischem roten Blut.
    »Das Nasenbein ist gebrochen, aber der Rest ist fein«, sagte Gai. Sie hob den Kopf am ausgestreckten Arm in Schulterhöhe und betrachtete ihn mit zufriedenem Lächeln. »Was meinst du, wie großartig sich der in unserem Wohnzimmer ausmachen wird!«
    »Wo ist Jorgan?«
    »Er begräbt den Körper«, meinte Gai. »Um darüber zu beten.«
    »Ach. Wo?«
    »Da entlang.« Sie zeigte.
    Thalvin ging in den Wald. Einige Minuten später kam er zurück. Jorgan war bei ihm.
     
    Thalvin trieb sie zur Eile an. Die rationalen und irrationalen Teile seines Geistes lagen miteinander im Kampf. Kein Teil errang einen klaren Sieg. Als die Sonne unterging, hatten sie nach Thalvins Schätzung fast zwanzig Kilometer zurückgelegt. Wenn sie diese Leistung am kommenden Tag wiederholten, könnten sie abends die Kapsel erreichen.
    »Wir lagern hier«, sagte er.
    »Ja«, seufzte Gai, erschöpft aber zufrieden. »Was für ein Tag!«
    Thalvin sagte nichts. Er bereitete sein Lager für die Nacht, brannte das Unterholz ab, errichtete den Schild und schlug das Zelt auf. Seine Gedanken waren nicht bei seiner Arbeit; sie verweilten bei den Erinnerungen. Er dachte an die andere Zeit hier und an die andere Trophäe, die mit den glasig starrenden blauen Augen. Er dachte an den alten Mann und seine Worte: »Ich kann nicht mehr – laß uns hier übernachten.« Er dachte an den folgenden Tag. Er fürchtete die Erinnerung an den folgenden Tag und setzte sich zu seiner Frau und Jorgan, die ein Lagerfeuer entfacht hatten. Als er die Essenrationen austeilte, blickte Jorgan zu ihm auf, und ihre Augen begegneten
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