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Die Zeitfalle

Die Zeitfalle

Titel: Die Zeitfalle
Autoren: Terry Carr
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unverputzten schwarzen Schlackesteinen, in denen die breite Masse der Tarifgruppen GS 1 bis 5 hauste; vorbei an den Kinderkrippen und Kadettenschulen, den Industrievierteln, Friedhöfen, Krankenhäusern und Erholungsflächen, den Kraftwerken und Entsorgungseinrichtungen, die den äußeren Ring bildeten; dann hinaus zu den Intensivfarmen, Großgärtnereien und Tierzuchtfabriken, schließlich zum Rand der Megalopolis. Und jenseits davon: nur Anarchie und Tod. Und die bewaffneten Patrouillen, Mauern, Stacheldrahtverhaue und Minengürtel, die die Stadt vom Chaos trennten. Kein Weg führte dort hinaus. Kein Ausweg.
    Und er hatte niemanden. In all den siebenhundert Kilometern der Stadt keinen Menschen. Er schluchzte, ein trockenes Keuchen nach Luft. Die Einsamkeit füllte seine Lungen wie Sirup.
    Er würde es jetzt tun, es war zu spät, den Impuls zu unterdrücken. Selbstmord? Er dachte flüchtig an Selbstmord, stellte sich vor, wie er aus seinem Fenster springen und endlos fallen würde, bevor der Boden ihn auffinge. Nein, das war nichts für ihn. Er war zu ängstlich. Er würde statt dessen das andere Ding tun, wie immer.
    Bradley ging zum Bildtelefon. Es war ein schönes Stück, ausgeführt in polierter Holzimitation und Stahl, mit einem großen Bildschirm. Zitternd setzte er sich nieder, erregt und voll Erwartung. Er erinnerte sich, wie er zu dem Gerät gekommen war, als er es einschaltete und wartete, daß es warm werde.
    Der Vertreter der Handelsorganisation hatte sich nicht die Mühe gemacht, etwas wie ein Verkaufsgespräch zu führen. Er hatte wie jemand, der etwas auswendig Gelerntes aufsagt, die Vorzüge des neuen Bildtelefonnetzes erläutert, und Bradley hatte ihn stumm und empfindungslos angehört. Sie waren beide gelangweilt gewesen. Es war sowieso alles nur eine Formalität gewesen. Bradley hatte nach fünfzehnjähriger Dienstzeit den üblichen Bonus erhalten – und nun hatte er etwas Neues mieten müssen, dessen Kosten der Höhe des Bonus' entsprachen, denn so etwas wie eine Unausgeglichenheit des Kreditkontos durfte es nicht geben. Die einzige Initiative, die er in einem solchen Fall entfalten konnte, betraf die Auswahl des Gegenstands. Er hatte unter etwa fünf Artikeln mit gleichem Preis wählen können. Der Mann von der Handelsorganisation hatte sich irgendwie für das Bildtelefongerät stark gemacht, vielleicht wegen zu hoher Lagerbestände ...
    Der Bildschirm wurde hell. Bradley öffnete eine Schublade, nahm ein Adressenverzeichnis heraus und suchte eine gekritzelte Nummer. Er hatte drei Tage gebraucht, das richtige Mädchen zu finden, ihm unbemerkt nach Hause zu folgen und herauszufinden, in welchem Block und in welcher Wohnung es lebte, so daß er Namen und Telefonnummer in Erfahrung bringen konnte. Er hatte jede wache Sekunde dieser drei Tage in Angst und Schrecken verbracht, und um ein Haar wäre er von einem Wachmann gestellt und verhört worden. Jedesmal wurde es schwieriger, jedesmal kam er der Entdeckung ein wenig näher.
    Der größte Vorteil des Bildtelefonnetzes, so hatte der Vertreter der Handelsorganisation gesagt, sei die Intimität, die es gewährleiste. Ein solches Gerät könne einem viele unnötige Fahrten und Wege ersparen, denn es sei genauso, als befände man sich mit dem Gesprächspartner im selben Raum. Es gebe einem die Möglichkeit, alle geschäftlichen und privaten Funktionen zu erfüllen, ohne die Behaglichkeit des eigenen Heims verlassen zu müssen.
    Bradley wählte die Nummer. Das Freizeichen verschwand vom Bildschirm. Mit einer Hand griff er hinunter und öffnete seine Hose. Der Gedanke an das, was zu tun er im Begriff war, hatte ihn in Erregung versetzt; er nahm seine Erektion in die Hand und drückte sie. Sein Mund war schmerzhaft trocken, und er zitterte vor Spannung. Auf dem Bildschirm erschien das Gesicht einer jungen Frau. Hübsch, mit langem dunklem Haar, großen goldbraunen Augen. »Ha?« sagte sie, ohne ihn zu erkennen. Bradley stand auf und ließ seine Hose zu den Knöcheln fallen. Ihre Augen weiteten sich. Sie starrte im Schock – aber da war auch ein rasches Flackern von Faszination in ihren Augen. Und noch etwas anderes. Verlangen? Liebe? Es ist Liebe, wollte er ihr sagen, es ist du und ich. Aber er schob sich nur ein wenig vorwärts, näher heran. Sie starrte fasziniert, den Mund halb geöffnet, die Zungenspitze zwischen den Zähnen. Nach zwei Sekunden öffnete sie pflichtbewußt – fast widerwillig – ihren Mund, um zu schreien. Er schaltete das Gerät
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