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Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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sprayen dürfen, als sie dem Spielplatz entwachsen waren. Jetzt waren sie ausgeflogen. Taler hatte sie nie gesehen, als sie noch dort wohnten, aber er vermutete, dass es sich um die beiden jüngeren Leute handelte, die manchmal zu Besuch kamen: ganz selten eine Frau mit einem kleinen Hund. Etwas häufiger ein Mann auf einem schweren, lauten Motorrad.
    Das nächste Haus stand gegenüber von Talers Wohnung, die Nummer neununddreißig. Es war das einzige, das sich noch im Originalzustand befand: Gelb mit grünen Fensterläden, der niedrige Zaun aus dunkelbraun gebeizten Staketen, in der gemischten Hecke blühten im März die Forsythien, auf dem Rasen, der mehr einer Wiese glich, standen zwei Apfelbäume und neben dem kleinen Sitzplatz mit dem rot gestrichenen Eisentisch und den Klappstühlen ein japanischer Zwergahorn. An der Grenze zum Nachbargarten lag ein kleines Gemüsebeet, im Schutz des Dachvorsprungs duckte sich ein windschiefes Tomatentreibhaus aus grüner Folie. Das Wohnzimmerfenster war von einem leeren Holzspalier eingefasst.
    Der Bewohner des Hauses daneben hatte einen großen Teil des Rasens durch Betonplatten ersetzt und diesen Sitzplatz mit Gartenmöbeln und Hollywoodschaukeln vollgestellt. Auch hier gab es eine Outdoor-Küche mit Grill und einen oberirdischen Pool, in welchem der Vater manchmal betont übermütig mit den beiden Kindern tollte. Seinem Nachbarn ein Haus weiter hatte er ein Stück Garten abgekauft und eine Garage draufgebaut. Taler konnte sie von seinem Standort aus nicht sehen, nur ihr fernbedientes Tor, wenn es sich öffnete oder schloss. Der Besitzer konnte es betätigen, noch bevor sein Wagen in der Kurve auftauchte. Er fuhr einen roten Kombi mit dem Schriftzug des Fachgeschäfts für Unterhaltungselektronik, das ihm gehörte oder für das er arbeitete, Taler wusste es nicht genau.
    Die ganze kleinbürgerliche Idylle hob sich wie eine Kulisse vor ein paar hohen Bäumen ab, den Resten eines kleinen Parks, der zu einer alten Fabrikantenvilla gehörte.
    Peter öffnete die Augen und verglich das äußere Bild mit dem verinnerlichten. Was war anders?
    Ein türkisfarbener Cinquecento fuhr schnell und in einem eleganten Bogen in die Parklücke. Frau Feldter öffnete die Tür noch beinahe im Fahren und stand Sekunden nach dem Verstummen des Motors neben dem Wagen.
    Sie ging zur Beifahrertür und nahm die Uniformjacke und einen Rollkoffer vom Sitz. Eine große dünne Frau Ende dreißig mit einem Schritt, der es gewohnt war, Schwankungen zu ignorieren. Auf dem Weg zur Haustür – Peter Taler konnte durch das schlecht isolierte Fenster das Rattern des Rollköfferchens auf dem Waschbeton hören – warf sie einen kurzen Blick zu seinem Wohnzimmerfenster herauf. Taler trat unwillkürlich einen Schritt zurück, obwohl er sicher sein konnte, dass er durch die Tüllgardine nicht zu sehen war, wenn kein Licht brannte.
    Er trank die Flasche leer und warf noch einmal einen Blick aus dem Fenster.
    War wirklich etwas anders?
    In der Küche öffnete er die dritte Flasche des Abends. Die, die er beim Kochen zu trinken pflegte.
    Er hackte Zwiebeln und ein bisschen Knoblauch, dünstete beides in einer kleinen Eisenpfanne in Olivenöl glasig, öffnete eine Dose geschälte Tomaten, goss die Flüssigkeit in den Abguss und die Tomaten zischend über die Zwiebeln. Er rührte mit einer Holzkelle um, deckte die Pfanne zu und schaltete die Herdplatte herunter auf vier.
    Danach drehte er den Warmwasserhahn auf, wartete, bis es heiß kam, und füllte den großen Spaghettitopf.
    Laura hatte es »abgestandenes Boilerwasser« genannt. Für ihn war es »ökologisches Heißwasser«. Es verkürze die Heizdauer der Herdplatte um die Zeit, die das Wasser sonst bräuchte, um die Boilertemperatur von sechzig Grad zu erreichen. Laura hatte dem entgegengehalten, dass dafür der Boiler die gleiche Menge Wasser wieder aufheizen müsse, und das koste unter dem Strich gleich viel Energie. Die Spaghettiwassertheorie blieb eine der vielen ungeklärten Fragen ihres gemeinsamen Lebens.
    Peter Taler setzte den Topf auf den Herd, salzte das Wasser, legte den Deckel drauf, ging zurück ans Blumenfenster und starrte hinaus.
    Alles kam ihm vor wie an jenem schrecklichen siebzehnten Mai vor etwas über einem Jahr, als Laura unten Sturm läutete und er nicht gleich geöffnet hatte. Auch damals war etwas anders gewesen, und er konnte nicht sagen, was.
    Schon im ersten Polizeiprotokoll, das er unterschreiben musste, stand: »Zeuge bejaht Frage, ob
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