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Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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Neuigkeit, dass Knupp nicht einfach ein wenig schrullig war, sondern hochgradig gestört, ließ die Sache in einem anderen Licht erscheinen. Ein Verrückter braucht kein Motiv. Ein Verrückter lässt keine Vorsicht walten.
    Als hätte er gespürt, dass Taler an ihn dachte, trat Knupp aus dem Haus und blickte zu seinem Fenster herauf. Dann ging er zu der verzinkten Gießkanne, die unter einem Wasserhahn an der Hausmauer stand. Sie war schwer, und es fiel ihm nicht leicht, sie bis zum Gemüsebeet zu tragen. Er goss die frischen Setzlinge mit dem großen Brauseaufsatz, bis die Kanne leer war, trug sie zurück und füllte sie wieder für das nächste Mal.
    Danach schloss er den Schlauch, der daneben an einem Halter hing, an den Hahn und wickelte ihn so weit ab, dass er bis zu den Apfelbäumen reichte. Als er sie gewässert hatte, wickelte er mehr Schlauch ab und nahm sich die Hecke vor.
    Taler wusste jetzt, weshalb diese Pflanzen so viel Wasser brauchten.
    »Es ist nichts Illegales, Pflanzen auszutauschen.« Marti saß an seinem Schreibtisch und blickte etwas ratlos auf die Fotos, die vor ihm lagen. Im Büro saßen zwei weitere Beamte. Beide telefonierten.
    »Ich sage ja nur, ich weiß jetzt, was anders war an jenem Abend. Es hatte mit den Pflanzen zu tun.«
    Der Wachtmeister sah ihn wortlos an. Zum ersten Mal hatte Taler den Eindruck, dass er dem Mann etwas auf die Nerven ging.
    »Und die Pflanzen haben mit Knupp zu tun.«
    Noch immer schwieg Marti.
    »Und Knupp hat mit Lauras Tod zu tun«, fuhr Taler trotzig fort.
    Marti schüttelte den Kopf. »Ich kann der Logik nicht folgen.«
    »Nicht Logik. Gefühl.«
    Martis Stimme klang müde: »Wir haben ihn überprüft.«
    »Aber damals wusstet ihr noch nicht, dass der Mann geistesgestört ist.«
    »Das hätte nichts geändert. Er leidet unter Alterstremor. Damit trifft man kein Ziel aus mehr als einem Meter.« Marti hatte ein dünnes Dossier vor sich liegen, aus dem er zitierte. »Und er ›leidet unter Hüfthinken als Folge einer Hüftgelenksarthrose (Coxarthrose)‹. Auf Deutsch: Er kann unmöglich rasch über die Straße und zurück rennen, um mal kurz jemanden zu erschießen.«
    »Warum haben Sie sein Haus nicht durchsucht?«
    Marti seufzte: »Herr Taler, in diesem Land macht die Polizei keine Durchsuchungen in Häusern von Unverdächtigen.«
    Taler gab nicht auf: »Aber jetzt könnte sie es tun.«
    »Weil er seine Apfelbäume umgepflanzt hat?«
    »Nicht umgepflanzt, ersetzt. Er entsorgt Pflanzen und ersetzt sie durch jüngere.«
    Einer der beiden Kollegen war von seinem Schreibtisch aufgestanden und stand jetzt neben Marti. »Hast du einen Moment?«
    Marti stand auf. »Komme gleich wieder«, sagte er zu Taler.
    Die Luft im Büro war abgestanden. Der Kippflügel über dem hohen schmalen Fenster reichte nicht für genügend Frischluft im Raum. Und das Eau de Toilette, das einer der drei Beamten benutzte, brachte auch keine Linderung.
    Wachtmeister Marti kam alleine zurück und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. »Neuigkeiten im anderen Fall. Ein Zeuge hat zur Tatzeit ein Moped gesehen. Aufgebockt und mit laufendem Motor.«
    Peter stutzte. Dann suchte er aus den Fotos auf Martis Tisch das heraus, das Laura an ihrem zweitletzten Tag aufgenommen hatte.
    »Hier.« Er deutete auf das angeschnittene Moped, das aus dem rechten Bildrand fuhr. »Vielleicht hat Laura die Aufnahme deswegen gemacht.«
    Marti nahm eine Lupe aus der Schreibtischschublade und studierte das Bild. »Darf ich es behalten?«, fragte er, als er das Vergrößerungsglas beiseitelegte.
    »Wozu?«
    »Wir gehen jeder Spur nach.«
    »Tatsächlich?« Taler sah Marti spöttisch an und stand auf.
    »Ich halte Sie auf dem Laufenden«, sagte der Wachtmeister beim Abschied.
    »Tatsächlich?«, wiederholte Taler schnippisch. Dann verließ er das Büro.
    Die Hauptwache stammte aus einer Zeit, als die Architekten nicht Platz sparen mussten beim Bau von staatlichen Gebäuden, die das Volk beeindrucken sollten. Peter Taler ging durch den breiten Korridor, der nach Bohnerwachs und Sorgen roch. Leute warteten auf Holzbänken oder studierten Anschläge, die sie nicht interessierten. Von draußen hörte man eine Polizeisirene, die sich nur langsam entfernte.
    Taler trat auf die Straße. Es war ein klarer, blauer Frühsommertag. Viele Angestellte verbrachten ihre Mittagspause auf den Bänken, kauten ihr Sandwich oder löffelten ihren Imbiss aus Plastikboxen.
    Er hatte seinen Wagen auf dem Personalparkplatz gelassen und war
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