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Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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hochsteigen.
    Zurück im Büro startete er den Computer und stellte sich ans offene Fenster.
    Wind war aufgekommen und trieb dunkle Wolken über das Himmelsviereck des Innenhofs.
    Unten kam Kübler mit einem Zweiradhandwagen voller Pakete aus dem Postbüro, zog ihn zum Lieferwagen und begann, diesen zu beladen. Er blickte zu Talers Fenster herauf, winkte ihm zu und konzentrierte sich wieder auf die Pakete.
    Taler setzte sich an den Schreibtisch und nahm sich den ersten Stapel Belege vor. Er versah sie mit dem Buchungsstempel, übertrug ihre Daten in den Computer und war in Gedanken bald weit weg.
    Ein Moped war gesehen worden. Ein Moped mit laufendem Motor in der Nähe des Tatorts. Und ein Moped war auch auf dem Foto, das Laura am zweitletzten Tag ihres Lebens gemacht hatte. War es das, was sie hatte fotografieren wollen? Fühlte sie sich verfolgt von einem Mopedfahrer?
    Nein, dann hätte sie die Kamera auf das Moped gerichtet, nicht auf Knupps Haus. Das halbe Moped am Bildrand musste ein Zufallstreffer sein.
    Aber vielleicht war es eine Spur. Marti jedenfalls hatte sich für das Foto interessiert. Mehr als für Knupps seltsames Verhalten.
    Ein Knall riss ihn aus seinen Gedanken. Eine Sturmböe hatte das Fenster zugeschlagen. Taler sprang auf, aber bevor er es ganz schließen konnte, hatte der Wind bereits die Belege vom Schreibtisch gefegt und im Büro verteilt. Fluchend ging er auf die Knie und begann, sie zusammenzuklauben.
    Als er gerade unter dem verwaisten Schreibtisch seines früheren Bürogenossen lag, kam Kübler mit einem Ablagekasten neuer Rechnungen herein. »Ich will nicht stören«, sagte er, legte sie neben Talers Computer und ging mit pantomimischer Übertreibung auf Zehenspitzen hinaus.
    Der Frühlingssturm hatte in Knupps Garten seine Spuren hinterlassen. Das junge Laub der neuen Apfelbäume sah mitgenommen aus, die paar Blüten hatten ihre Blätter verloren, und die des lila Flieders waren zerzaust und so schwer vom Regen, dass ihr Gewicht die Zweige niederdrückte.
    Es regnete noch immer, aber es war ein stiller Frühlingsregen geworden. Wie zum Ausklang des schweren Gewitters, dessen fernes Donnergrollen jetzt versöhnlich klang.
    Taler kletterte über Beifahrersitz und Pfütze aus dem Wagen, leerte den Briefkasten und eilte zur Haustür.
    In der Wohnung war es frisch. Er hatte Schlafzimmer- und Küchenfenster einen Spalt offen gelassen, und die Gewitterluft hatte die Wohnung ausgekühlt.
    Er schloss die Fenster, setzte sich vor Lauras Computer und öffnete ihr letztes Foto vom Gustav-Rautner-Weg. Er vergrößerte das Moped am rechten Bildrand bis knapp zu dem Punkt, an dem die Pixel sichtbar wurden.
    Es war schwarz oder dunkelblau und besaß einen Gepäckträger, auf den etwas geklemmt war, das wie eine Sporttasche aussah. Man sah gut die Hälfte des Hinterrades und einen Teil des Auspuffs und der Kettenverkleidung. Vom Fahrer war der Rücken und ein Teil des Helmes sichtbar. Seine Windjacke von unbestimmter Farbe schien offen zu sein, denn der Fahrtwind wehte sie ein wenig nach hinten. Er hatte einen Integralhelm auf, dessen Visier geschlossen zu sein schien und auf dessen dunklem Untergrund schwach etwas Helles zu erkennen war. Ein Logo oder ein Bild. Vielleicht war es gelb.
    Weil das Fahrzeug von der Seite aufgenommen war, konnte er das Kennzeichen nicht sehen, aber auf der Verkleidung der Kette sah er Buchstaben. Es waren drei: ein kleines c, ein kleines i und ein kleines a.
    C I A ? Was hatte das zu bedeuten?
    Die gedrungenen Kleinbuchstaben hatten oben und unten kleine Abschlussstriche, sogenannte Serifen, die Schrift war folglich eine Antiqua. Zwei Fachausdrücke, die er von Laura gelernt hatte.
    Weshalb kam ihm das Wortbild vage bekannt vor?
    Er ging in die Küche, bereitete seine Tomatensauce aus Zwiebeln, Knoblauch, pelati, Basilikum und Olivenöl zu, wartete, bis die ersten Blasen platzten und sich der Duft ausbreitete, von dem er hoffte, er werde sein Gedächtnis unterstützen, kehrte in Lauras Arbeitszimmer zurück, legte eine brennende Zigarette für sie in den Aschenbecher und sah dem blauen Rauchfaden zu, wie er grazil zu der niedrigen Decke stieg.
    An manchen Tagen war Lauras Aschenbecher voller Zigaretten, die sich ohne ihr Zutun verzehrt hatten. Wie hellgraue Larven lagen sie strahlenförmig um das Zentrum versammelt, während Laura selbstvergessen zeichnete. In diesen Momenten war ihr Gesicht ganz weich, und ihre Lippen waren in ständiger Bewegung.
    Peter hatte gelernt, sie
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