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Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Die Zeit, die Zeit (German Edition)

Titel: Die Zeit, die Zeit (German Edition)
Autoren: Martin Suter
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Garten.
    Sie waren nicht nur nicht gewachsen – sie waren jünger geworden. Sie hatten zwar etwa die gleiche Höhe, aber ihre Stämme waren nur noch halb so dick.
    Knupp hatte sie ausgetauscht. Wie den Zwergahorn. Das war es, was anders gewesen war. An jenem schrecklichen Tag der Zwergahorn. Und gestern Abend die Apfelbäume.
    Taler ging zurück ins Bett und versuchte vergeblich, wieder einzuschlafen. Er spürte, wie sein Herz klopfte, und wurde wachgehalten durch den Aufruhr seiner Gedanken.
    Sobald es das Licht erlaubte, stand er auf und ging in T-Shirt und Boxershorts zum Blumenfenster. Jetzt, wo er es wusste, wunderte er sich, dass ihm die Verjüngung der Apfelbäume nicht gleich aufgefallen war.
    Im Gemüsebeet kniete Knupp. Er schien Setzlinge zu pflanzen und tat dabei etwas Eigenartiges: Immer wieder konsultierte er ein Papier, als benötige er für diese Arbeit eine Gebrauchsanweisung.
    Taler holte den Feldstecher, den er sich für sein neues Leben als Beobachter angeschafft und griffbereit in der Anrichte liegen hatte. Er richtete ihn auf das Gemüsebeet.
    Knupp rückte jetzt so nahe, dass Peter Taler das Zittern seiner Hände sehen konnte. Und tatsächlich: Der Alte maß die Pflanzabstände und nahm Korrekturen vor. Er grub Setzlinge aus, setzte sie wieder ein und maß erneut die Abstände.
    Taler machte Frühstück und trug es zum Esstisch. Durch das Blumenfenster beobachtete er Knupp. Er stand neben dem Gemüsebeet, hatte ein Stativ aufgestellt – und machte Fotos.
    Taler ging ebenfalls zu seinem Stativ und fotografierte von Lauras Standpunkt aus. Als er sein Foto mit ihrem verglich, bestätigte sich seine Vermutung: Der Gemüsegarten war genau gleich bepflanzt wie vor einem Jahr.
    Es gab keinen Zweifel: Knupp war nicht normal.

4
     
    Am Montag machte er früher Feierabend. Er wollte nach Hause kommen, solange Frau Gelphart noch da war.
    »Ich bin froh, dass Sie das Arbeitszimmer wieder benutzen«, sagte sie. »Es ist nicht gesund, in einem Mausoleum zu wohnen.«
    Die Fenster des Raumes waren weit geöffnet, und es roch nach dem Putzmittel, mit dem Frau Gelphart immer das Linoleum nass aufwischte.
    Taler ging nicht auf die Bemerkung ein.
    »Ich finde, Sie sollten auch den Raum etwas umstellen. Überhaupt die ganze Wohnung. Das zieht Sie nur runter, wenn Sie ihr auf Schritt und Tritt begegnen.«
    »Ich werde darüber nachdenken.«
    »Tun Sie das. Im Kühlschrank sind zwei Stück Apfelwähe. Die mögen Sie doch.«
    Peter mochte Apfelwähe nicht. Aber er antwortete: »Danke. Sie verwöhnen mich.« Und fuhr fort: »Knupp hat eine Schraube locker, nicht wahr?«
    »Er ist ein bisschen seltsam geworden, warum?«
    »Er gräbt seine Apfelbäume aus und pflanzt an ihrer Stelle jüngere.«
    Sie zuckte mit den Schultern.
    »Und sein Gemüse setzt er millimetergenau gleich wie im Vorjahr.«
    »Ich sage ja, es ist ungesund, in einem Mausoleum zu leben.«
    Peter verstand den Zusammenhang nicht.
    »Ich glaube, er will, dass alles genau so bleibt wie damals vor zwanzig Jahren, als seine Frau noch lebte. Wie Sie.«
    Taler sah sie gereizt an. »Das können Sie doch nicht vergleichen.«
    »Das hat bei Knupp auch nicht so angefangen. Es ist erst vor ein paar Jahren so extrem geworden. Also passen Sie auf.«
    Taler schwieg.
    »Am Anfang hat er einfach alles so gelassen, wie es war. Aber die Pflanzen durften weiter wachsen. Und eines Tages vor zwei Jahren ist mein Mann nach Hause gekommen und hat gesagt: ›Hast du gesehen, wie brutal der Knupp seine Apfelbäume zurückgeschnitten hat?‹ Das waren doch so schöne, gesunde Bäume. Mit solchen Äpfeln.« Sie brauchte beide Hände, um die Größe dieser Äpfel zu zeigen. »Und jetzt hat er die zurückgeschnittenen Bäume durch jüngere ersetzt.«
    »Auch den Ahorn damals, nicht?«
    »Ja. Und in der Hecke verjüngt er auch immer wieder etwas.«
    Als Frau Gelphart gegangen war, stellte sich Taler wie immer mit seinem ersten Feierabendbier ans Fenster. Aber diesmal konzentrierte er sich nur noch auf Knupps Garten.
    Hatte der Alte etwas mit Lauras Tod zu tun? Der Gedanke kam ihm nicht zum ersten Mal. Taler hatte nach der Tat alle Nachbarn verdächtigt. Die Polizei hatte alle verhört. Und alle entlastet. Auch Knupp. Ganz abgesehen davon, dass auch er kein Motiv hatte, war er zu schlecht zu Fuß, um die Straße zweimal überqueren zu können, ohne gesehen zu werden. Und das Zittern seiner Hände hätte ihm einen Präzisionsschuss von seinem Grundstück aus nicht erlaubt.
    Doch die
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