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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung
Autoren: Andrzej Sapkowski
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überhaupt nicht bei euch sein! Ich reite sofort weg  ...«
    »Du bist ja doch nicht stumm«, stellte Giselher mürrisch fest. »Du kannst reden, und sogar dreist.«
    »Schaut euch ihre Augen an«, fauchte Flamme. »Schaut, wie sie den Kopf hält. Ein Raubvögelchen! Ein junges Falkenweibchen!«
    »Du willst wegreiten«, sagte Kayleigh. »Und wohin, wenn man fragen darf?«
    »Was geht euch das an?«, schrie Ciri, und in ihre Augen trat ein grüner Schein. »Frage ich euch, wohin ihr reitet? Das geht mich nichts an! Und ihr geht mich auch nichts an! Ich brauche euch nicht, zu nichts! Ich werde  ... Ich komme zurecht! Allein!«
    »Allein?«, wiederholte Mistle mit einem seltsamen Lächeln. Ciri verstummte, senkte den Kopf. Die Ratten schwiegen ebenfalls.
    »Es ist Nacht«, sagte Giselher schließlich. »Nachts reitet man nicht. Man reitet nicht allein, Mädchen. Wer allein ist, muss umkommen. Dort bei den Pferden liegen Decken und Pelze. Such dir was aus. Die Nächte in den Bergen sind kalt. Was starrst du mich so an aus deinen grünen Lichtern? Richte dir ein Lager und schlaf. Du musst dich ausruhen.«
    Sie zögerte einen Augenblick lang, gehorchte dann. Als sie zurückkam und eine Decke und einen Pelzsack hinter sich herzog, saßen die Ratten nicht mehr ums Feuer. Sie standen im Halbkreis, und der rote Feuerschein spiegelte sich in ihren Augen wider.
    »Wir sind die Ratten des Grenzlandes«, sagte Giselher stolz. »Wir wittern eine Beute meilenweit. Wir fürchten keine Fallen. Es gibt nichts, was wir nicht durchbeißen. Komm her, Mädchen.«
    Sie gehorchte.
    »Du hast nichts«, fuhr Giselher fort und überreichte ihr einen silberbeschlagenen Gürtel. »Also nimm wenigstens etwas.«
    »Du hast nichts und niemanden«, sagte Mistle und warf ihr lächelnd ein kurzes Jäckchen von grünem Atlas über die Schultern und drückte ihr eine Bluse mit Hohlsaumstickerei in die Hand.
    »Du hast nichts«, sagte Kayleigh, und sein Geschenk war ein Stilett in einer edelsteinbesetzten Scheide. »Du bist allein.«
    »Du hast niemanden«, wiederholte nach ihm Asse. Ciri nahm ein verziertes Schwertgehenk in Empfang.
    »Du hast niemanden, der dir nahesteht«, sagte mit Nilfgaarder Akzent Reef, während er ihr ein Paar Handschuhe aus ganz weichem Leder überreichte.
    »Du wirst überall eine Fremde sein«, schloss scheinbar achtlos Flamme, die Ciri mit einer raschen und ziemlich ungenierten Bewegung ein kleines Barett mit Fasanenfedern auf den Kopf setzte. »Überall fremd und anders. Wie sollen wir dich nennen, Falkenjunges?«
    Ciri schaute ihr in die Augen. »Gvalch’ca.«
    Die Elfe lächelte. »Wenn du erst einmal zu reden beginnst, redest du in vielen Sprachen, Falkenjunges! Also gut. Du wirst einen Namen des Älteren Volkes tragen, den Namen, den du selbst gewählt hast. Du wirst Falka sein.«
     
    Falka.
    Sie konnte nicht einschlafen. Die Pferde stampften und schnaubten im Dunkeln, der Wind rauschte in den Wipfeln der Tannen. Der Himmel war mit Sternen übersät. Hell leuchtete das Auge, das so viele Tage ihr treuer Führer durch die Felswüste gewesen war. Das Auge wies den Westen. Doch Ciri war sich nicht mehr sicher, ob das die richtige Richtung war. Es gab nichts, dessen sie sich sicher war.
    Sie konnte nicht einschlafen, obwohl sie sich zum ersten Mal seit vielen Tagen sicher fühlte. Sie war nicht mehr allein. Das Lager aus Zweigen hatte sie sich abseits eingerichtet, weit von den Ratten entfernt, die auf dem vom Feuer erwärmten Lehmboden der verfallenen Hütte schliefen. Sie war weit von ihnen entfernt, spürte aber ihre Nähe und Anwesenheit. Sie war nicht allein.
    Sie hörte leise Schritte.
    »Keine Angst.«
    Kayleigh.
    »Ich sage ihnen nicht«, flüsterte die hellhaarige Ratte, während er neben ihr niederkniete und sich über sie beugte, »dass Nilfgaard dich sucht. Ich sage ihnen nichts von der Belohnung, die der Präfekt in Amarillo auf dich ausgesetzt hat. Dort in der Schenke hast du mir das Leben gerettet. Ich werde mich revanchieren. Mit etwas Schönem. Jetzt gleich.«
    Er legte sich neben sie, langsam und vorsichtig. Ciri versuchte aufzuspringen, doch Kayleigh drückte sie aufs Lager, mit einer Bewegung, die nicht heftig war, aber stark und nachdrücklich. Sanft legte er ihr die Finger auf den Mund. Das wäre nicht notwendig gewesen. Ciri war vor Furcht gelähmt, aus der verkrampften, schmerzhaft trockenen Kehle kam kein Schrei, selbst wenn sie hätte schreien wollen. Doch sie wollte nicht. Stille und
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