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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Städte und Schlösser waren voll von Bewaffneten, Tag und Nacht herrschte dort ein fieberhaftes Treiben. Die für gewöhnlich unsichtbaren Burggrafen und Kastellane schwärmten jetzt unablässig auf den Mauern und Burghöfen umher, wütend wie Wespen vor einem Gewitter, schrien, fluchten, erteilten Befehle, verteilten Fußtritte. Tag und Nacht waren Kolonnen schwer beladener Wagen zu Festungen und Garnisonen unterwegs, wichen den Kolonnen aus, die, auf dem Rückweg, ihnen schnell, leicht und leer entgegenkamen. Herden von ausgelassenen dreijährigen Pferden, die man direkt von den Weiden herantrieb, wirbelten auf den Landstraßen Staubwolken auf. Die weder an Geschirr noch an einen gepanzerten Reiter gewöhnten Pferdchen genossen fröhlich die letzten Tage der Freiheit, machten den Pferdeknechten viel zusätzliche Arbeit und anderen Benutzern der Straßen viel Verdruss.
    Kurzum, in der heißen, reglosen Luft lag Krieg.
    Aplegatt richtete sich in den Steigbügeln auf, blickte um sich. Unten am Fuße der Anhöhe glitzerte ein Fluss, der sich in scharfen Wendungen zwischen Wiesen und Baumgruppen hinzog. Jenseits des Flusses, im Süden, erstreckten sich Wälder. Der Bote trieb das Pferd an. Die Zeit drängte.
    Er war seit zwei Tagen unterwegs. Der königliche Befehl und die Post hatten ihn in Hagge erreicht, wo er sich nach der Rückkehr aus Dreiberg ausruhte. Er hatte die Festung nachts verlassen, war auf der Landstraße am linken Ufer des Pontar entlanggaloppiert, hatte vor Tagesanbruch die Grenze zu Temerien überquert und befand sich jetzt, am Mittag des folgendes Tages, schon am Ufer der Ismena. Wäre König Foltest in Wyzima gewesen, hätte ihm Aplegatt die Botschaft noch in der Nacht desselben Tages überbracht. Leider war der König nicht in der Hauptstadt – er weilte im Süden des Landes, in Maribor, das fast zweihundert Meilen von Wyzima entfernt lag. Aplegatt wusste das, deshalb hatte er in der Nähe von Weißbrücke die Landstraße nach Westen verlassen und war durch die Wälder geritten, in Richtung Ellander. Das war etwas riskant. In den Wäldern grassierten immer noch die aufständischen Elfen, die sich »Scioa’tael« nannten, »Eichhörnchen«; wehe dem, der ihnen in die Hände fiel oder vor den Bogen kam. Doch ein königlicher Bote musste etwas riskieren, das war seine Pflicht.
    Er überquerte den Fluss ohne Mühe – seit Juni hatte es nicht geregnet, das Wasser in der Ismena war erheblich zurückgegangen. Er hielt sich am Waldrand und gelangte zu der Straße, die von Wyzima nach Südosten führte, in Richtung der Eisenhütten, Schmieden und Ansiedlungen der Zwerge im Mahakammassiv. Auf der Straße fuhren Wagen, oft von berittenen Einheiten gedeckt. Aplegatt atmete erleichtert auf. Wo sich viele Menschen befanden, gab es keine Scioa’tael. Die Kampagne gegen die mit den Menschen kämpfenden Elfen dauerte in Temerien schon ein Jahr; die Kommandos der Eichhörnchen, auf die in den Wäldern Jagd gemacht wurde, hatten sich in kleinere Gruppen geteilt, und die kleineren Gruppen hielten sich von stark frequentierten Straßen fern und legten dort keine Hinterhalte.
    Noch ehe es Abend wurde, hatte er die Westgrenze des Fürstentums Ellander erreicht, die Weggabelung unweit des Dörfchens Zavada, von wo aus ein einfacher und sicherer Weg nach Maribor vor ihm lag – zweiundvierzig Meilen auf gepflasterter, verkehrsreicher Straße. An der Wegscheide lag eine Schenke. Er beschloss, dem Pferd und sich eine Rast zu gönnen. Er wusste, dass er, wenn er im Morgengrauen aufbrach, das Pferd nicht einmal besonders anzutreiben brauchte, um noch vor Sonnenuntergang die schwarz-silbernen Fahnen auf den roten Dächern der Türme des Schlosses von Maribor zu erblicken.
    Er sattelte die Stute ab und versorgte sie selbst, nachdem er dem Pferdeknecht gesagt hatte, er möge seiner Wege gehen. Er war ein königlicher Bote, und ein königlicher Bote erlaubt niemandem, sein Pferd anzurühren. Er aß eine ordentliche Portion Rührei mit Wurst und ein Viertel Beutelbrot, trank ein Quart Bier. Er hörte sich Gerüchte an. Verschiedene. In der Schenke hatten Reisende aus allen Weltgegenden Einkehr gehalten.
    In Dol Angra, erfuhr Aplegatt, war es wieder zu Zwischenfällen gekommen, wieder hatte sich eine Kavallerieeinheit aus Lyrien mit einem Nilfgaarder Beritt geschlagen, wieder hatte Meve, die Königin von Lyrien, lauthals Nilfgaard der Provokation bezichtigt und König Demawend von Aedirn zu Hilfe gerufen. In Dreiberg war ein
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