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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung
Autoren: Andrzej Sapkowski
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redanischer Baron öffentlich hingerichtet worden, der in geheimem Kontakt zu Abgesandten des Nilfgaarder Kaisers Emhyr gestanden hatte. In Kaedwen hatten die zu einer großen Einheit vereinigten Kommandos der Scioa’tael ein Gemetzel im Fort Leyda verübt. Zur Vergeltung für dieses Massaker hatte die Bevölkerung von Ard Carraigh einen Pogrom veranstaltet und an die vierhundert in der Hauptstadt ansässige Nichtmenschen ermordet.
    In Temerien, erzählten Kaufleute, die aus dem Süden kamen, herrschten Trauer und Wehklagen unter den Emigranten aus Cintra, die unter den Fahnen von Hofmarschall Vissegerd versammelt waren. Denn es hatte sich die schreckliche Nachricht vom Tode des Löwenjungen bestätigt, der Fürstentochter Cirilla, der letzten aus dem Blute von Königin Calanthe, die man die Löwin von Cintra nannte.
    Es wurden noch allerlei schreckliche und unheilvolle Gerüchte erzählt. So hatten in mehreren Dörfern in der Umgebung von Aldersberg die Kühe plötzlich begonnen, aus dem Euter zu bluten, und im Morgengrauen hatte man im Nebel die Pestjungfer gesehen, deren Erscheinen Tod und Verderben kündet. In Brugge war unweit des Waldes Brokilon, des verbotenen Reiches der Walddryaden, die Wilde Jagd erschienen, ein am Himmel entlanggaloppierender Zug von Gespenstern, und die Wilde Jagd ist, wie jedermann weiß, immer ein Vorzeichen des Krieges. Vor der Halbinsel Bremervoord aber wurde ein Gespensterschiff gesichtet und auf seinem Deck ein Gespenst – ein schwarzer Ritter mit einem Helm, der mit den Flügeln eines Raubvogels verziert war  ...
    Der Bote hörte nicht länger zu, er war zu müde. Er ging in die gemeinschaftliche Schlafkammer, warf sich aufs Strohlager und schlief wie ein Toter.
    Im Morgengrauen stand er auf. Als er auf den Hof ging, wunderte er sich ein wenig – er war nicht der Erste, der sich auf den Weg machte, und das kam selten vor. Am Brunnen stand gesattelt ein Rappe, und neben ihm am Trog wusch sich eine Frau in Männerkleidung die Hände. Als sie Aplegatts Schritte hörte, wandte sie sich um, nahm mit den nassen Händen das üppige schwarze Haar zusammen und strich es nach hinten. Der Bote verbeugte sich. Die Frau neigte leicht den Kopf.
    Als er in den Stall trat, wäre er beinahe mit dem zweiten Frühaufsteher zusammengestoßen, einem jungen Mädchen mit einer Samtkappe, das gerade eine Apfelschimmelstute auf den Hof führte. Das Mädchen rieb sich das Gesicht und gähnte, gegen die Flanke des Pferdes gelehnt.
    »Oje«, murmelte sie und rieb sich die Augen. »Ich werde wohl im Sattel einschlafen  ... Im Handumdrehen einschlafen  ... Uaaaua  ...«
    »Die Kälte wird dich munter machen, wenn du die Stute auf Trab bringst«, sagte Aplegatt höflich, während er den Sattel vom Balken zog. »Glück auf den Weg, Fräuleinchen.«
    Das Mädchen drehte sich um und schaute ihn an, als habe sie ihn erst jetzt bemerkt. Ihre Augen waren groß und grün wie Smaragde. Aplegatt warf die Schabracke aufs Pferd.
    »Glück auf den Weg habe ich gewünscht«, wiederholte er. Für gewöhnlich war er weder mitteilsam noch gesprächig, doch jetzt empfand er das Bedürfnis, mit einem Mitmenschen zu reden, auch wenn dieser Mitmensch eine gewöhnliche verschlafene Rotznase war. Vielleicht lag es an den vielen einsamen Tagen unterwegs, vielleicht auch daran, dass die Rotznase ihn ein wenig an seine mittlere Tochter erinnerte.
    »Mögen die Götter euch behüten«, fügte er hinzu, »vor Unfall und schlechtem Wetter. Ihr seid ja nur zu zweit, noch dazu Weiber  ... Und die Zeiten sind schlecht. Überall lauern Gefahren auf den Landstraßen  ...«
    Das Mädchen öffnete die grünen Augen ein Stück weiter. Der Bote fühlte, wie es ihm kalt den Rücken hinunterlief, und er erschauderte.
    »Die Gefahr«, ließ sich das Mädchen plötzlich mit seltsamer, veränderter Stimme vernehmen. »Die Gefahr ist leise. Du wirst sie nicht hören, wenn sie auf grauen Federn geflogen kommt. Ich hatte einen Traum. Der Sand  ... Der Sand war heiß von der Sonne  ...«
    »Was?« Aplegatt erstarrte, den Sattel gegen den Bauch gestemmt. »Was redest du, Fräuleinchen? Was für ein Sand?«
    Das Mädchen zuckte heftig zusammen, rieb sich das Gesicht. Die Schimmelstute warf den Kopf hin und her.
    »Ciri!«, rief die schwarzhaarige Frau vom Hofe her in scharfem Tonfall, während sie Zaumzeug und Satteltaschen des Rappen zurechtrückte. »Beeil dich!«
    Das Mädchen gähnte, warf Aplegatt einen Blick zu, begann zu blinzeln,
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