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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung
Autoren: Andrzej Sapkowski
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mit dem Bart und trieb die Maultiere an. »Grade rechtzeitig. Wenn du um Mittag rum gekommen wärst, hättst du auf freie Fahrt warten müssen. Wir haben’s alle eilig, aber warten mussten wir. Wie soll man fahren, wenn die Straße zu ist?«
    »Die Straße war geschlossen? Was ist denn das für eine Mode?«
    »Hier ist ’n schlimmer Menschenfresser aufgetaucht, Söhnchen. Hat ’nen Ritter angefallen, der allein mit dem Knappen die Straße langgeritten ist. Das Ungeheuer soll dem Ritter den Kopf mitsamt Helm abgerissen haben, dem Pferd den Bauch aufgeschlitzt. Der Knappe konnte abhaun, hat andauernd gequatscht, wie fürchterlich es war, dass die ganze Straße im Blut schwamm  ...«
    »Was war das für ein Monstrum?«, fragte Aplegatt und zügelte das Pferd, um weiter mit den Kutschern des einherzuckelnden Wagens reden zu können. »Ein Drache?«
    »Nein, kein Drache«, sagte der zweite Greis, der mit der Strohmütze. »’s heißt, ’ne Mandigora oder so. Der Knappe hat gesagt, ’s war ’ne fliegende Bestie, mächtig gewaltig. Und hartnäckig! Ich hab mir gedacht, die frisst den Ritter und fliegt weg, aber keine Spur! Hat sich da auf die Straße gesetzt, das Mistvieh, und sitzt da, zischt, bleckt die Zähne  ... Na, und das hat die Straße zugemacht wie’n Korken die Flasche, denn wenn wer gekommen ist und das Vieh gesehen hat, der hat den Wagen stehenlassen und ist weg, was das Zeug hält. Da standen dann die Wagen ’ne halbe Meile lang, und rundrum ist, wie du ja selber siehst, Söhnchen, bloß Dickicht und Morast, da kommt man nicht rum und nicht zurück.«
    »So viele Leute!«, sagte der Bote abfällig. »Und stehen da wie angewurzelt! Sie hätten sich Äxte und Spieße greifen müssen und das Biest von der Straße vertreiben oder erschlagen.«
    »Nu, ’n paar haben’s versucht«, sagte der Alte, der die Zügel in der Hand hielt, und trieb die Maultiere an, denn die Kolonne kam in Fahrt. »Drei Zwerge von der Wachmannschaft eines Kaufmanns und mit ihnen vier Rekruten, die nach Carreras zur Festung unterwegs waren, zu den Truppen. Die Zwerge hat die Bestie grässlich zugerichtet, und die Rekruten  ...«
    »...  haben Fersengeld gegeben«, beendete der andere Greis den Satz, worauf er saftig und weit ausspuckte und zielsicher die Lücke zwischen den Hinterteilen der Maultiere traf. »Fersengeld gegeben, kaum dass sie die Mandigora gesehn haben. Einer hat sich wohl sogar eingemacht. Oh, schau, schau, Söhnchen, das ist er! Dort!«
    »Was soll das«, sagte Aplegatt leicht entnervt, »wollt ihr mir den Hosenscheißer zeigen? Der ist mir egal  ...«
    »Nicht doch! Der Kadaver! Der Kadaver von dem Ungeheuer! Die Soldaten legen ihn auf einen Wagen! Seht ihr?«
    Aplegatt richtete sich in den Steigbügeln auf. Trotz der hereinbrechenden Dunkelheit und den sich drängenden Gaffern sah er, wie Soldaten einen riesigen fahlgelben Körper trugen. Die Fledermausflügel und der Skorpionschwanz schleiften über den Boden. Mit Hau-ruck-Rufen hoben die Soldaten den Kadaver höher und wälzten ihn auf den Wagen. Die vorgespannten Pferde, offensichtlich vom Gestank nach Blut und Aas beunruhigt, tänzelten, ruckten an der Deichsel.
    »Nicht stehenbleiben!«, schrie der Berittführer, der die Soldaten befehligte, die beiden Alten an. »Weiterfahren! Nicht die Durchfahrt versperren!«
    Der Kutscher trieb die Maultiere vorwärts, der Wagen sprang in den Radspuren. Aplegatt stieß das Pferd mit der Ferse, zog gleichauf.
    »Die Soldaten haben die Bestie wohl erlegt?«
    »Woher denn«, widersprach einer der Alten. »Die Soldaten, wie sie gekommen sind, haben bloß die Leute angeschnauzt. Mal ›bleib stehn‹, mal ›fahr zurück‹, mal so, mal so. Mit dem Ungeheuer hatten sie’s nicht eilig. Sie haben einen Hexer kommen lassen.«
    »Einen Hexer?«
    »So war’s«, versicherte ihm der zweite Greis. »Jemandem ist eingefallen, dass er im Dorf einen Hexer gesehen hatte, da haben sie ihn geholt. Der hatte weiße Haare, ’ne widerwärtige Visage und ’n mächtig gewaltiges Schwert auf’m Rücken. Und ’s ist keine Stunde vergangen, da hat vorn jemand geschrien, dass wir gleich weiterfahrn können, weil der Hexer die Bestie erledigt hat. Da ging’s endlich weiter, und grad da bist du, Söhnchen, aufgekreuzt.«
    »Ha«, sagte Aplegatt nachdenklich. »So viele Jahre bin ich schon auf den Straßen unterwegs, aber einen Hexer habe ich noch nicht getroffen. Hat jemand gesehen, wie er dieses Ungeheuer erledigt hat?«
    »Ich
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