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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung
Autoren: Andrzej Sapkowski
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erzeugt von Krieg, Unglück und Verachtung. Krieg, Unglück und Verachtung hatten sich vereint und sie an ein und dasselbe Ufer geworfen, wie ein angeschwollener Fluss treibende, schwarze, an Steinen glattgeschliffene Holzstücke auswirft und an den Ufern ablagert.
    Kayleigh war inmitten von Rauch, Brand und Blut in einem geplünderten Kastell zu Bewusstsein gekommen, wo er zwischen den Leichen seiner Pflegeeltern und Verwandten lag. Als er sich die mit Leichen übersäte Landstraße entlangschleppte, war er auf Reef gestoßen. Reef war Soldat bei der Strafexpedition, die Kaiser Emhyr var Emreis zur Niederschlagung des Aufstandes in Ebbing ausgesandt hatte. Er war einer von denen, die das Kastell nach zweitägiger Belagerung erstürmt und geplündert hatten. Nachdem sie das Kastell erobert hatten, ließen die Kameraden Reef im Stich, obwohl Reef lebte. Doch Sorge für die Verwundeten gehörte nicht zu den Gewohnheiten der Schlagetote aus den Nilfgaarder Sondereinheiten.
    Anfangs hatte Kayleigh Reef den Rest geben wollen. Doch Kayleigh wollte nicht allein sein. Und wie Kayleigh war Reef sechzehn Jahre alt.
    Gemeinsam leckten sie sich die Wunden. Gemeinsam ermordeten und beraubten sie einen Steuereintreiber, gemeinsam besoffen sie sich in einer Herberge mit Bier, und später, als sie auf Beutepferden durchs Dorf ritten, warfen sie gemeinsam mit dem Rest des geraubten Geldes um sich und lachten sich dabei scheckig.
    Gemeinsam flohen sie vor den Nissiren und den Nilfgaarder Patrouillen.
    Giselher war aus der Armee desertiert. Wahrscheinlich war es die Armee des Herrschers von Geso, der mit den Aufständischen von Ebbing gemeinsame Sache machte. Wahrscheinlich. Giselher wusste nicht allzu genau, wohin ihn die Werber geholt hatten. Er war damals stockbetrunken gewesen. Als er nüchtern war und bei der Musterung die ersten Prügel vom Feldwebel bekam, verdrückte er sich. Zunächst trieb er sich allein herum, doch als die Nilfgaarder die Konföderation der Aufständischen zerschlagen hatten, wimmelte es in den Wäldern von anderen Deserteuren und Flüchtlingen. Die Flüchtlinge bildeten rasch Banden. Giselher schloss sich einer davon an.
    Die Bande plünderte und brandschatzte Dörfer, überfiel Geleitzüge und Transporte, schmolz in wilder Flucht vor den Schwadronen der Nilfgaarder Reiterei zusammen. Als sie einmal wieder auf der Flucht war, stieß sie im Forst auf Waldelfen und fand den Tod, einen unsichtbaren Tod, der sie von allen Seiten mit schwarz befiederten Pfeilen überschüttete. Einer der Pfeile durchschlug Giselhers Schulter und nagelte ihn an einen Baum. Wer gegen Morgen den Pfeil herauszog und die Wunde versorgte, war Aenyeweddien.
    Giselher erfuhr nie, warum die Elfen Aenyeweddien verstoßen, für welches Vergehen sie sie zum Tode verurteilt hatten – denn für eine freie Elfe war die Einsamkeit in dem schmalen Streifen Niemandsland, der das Freie Ältere Volk von den Menschen trennte, ein Todesurteil. Eine auf sich allein gestellte Elfe muss umkommen. Wenn sie keinen Gefährten findet.
    Aenyeweddien fand einen Gefährten. Ihr Name, der frei übersetzt »Kind des Feuers« bedeutete, war für Giselher zu kompliziert und zu poetisch. Er nannte sie Flamme.
    Mistle stammte aus einer reichen Adelsfamilie der Stadt Thurn in Nord-Maecht. Ihr Vater, Vasall von Fürst Rudiger, schloss sich der Armee der Aufständischen an, ließ sich schlagen und verschwand spurlos. Als die Einwohner von Thurn auf die Nachricht vom Anrücken der Strafexpedition, der berühmten Pazifikatoren von Gemmery hin, aus der Stadt flohen, floh auch Mistles Familie, und Mistle ging in der von Panik erfassten Menge verloren. Das herausgeputzte, feine Fräuleinchen, das seit frühester Jugend in der Sänfte getragen worden war, konnte mit den Flüchtlingen nicht Schritt halten. Nachdem sie drei Tage lang einsam umhergeirrt war, fiel sie den Menschenfängern in die Hände, die den Nilfgaardern folgten. Mädchen unter siebzehn Jahren standen hoch im Kurs. Wenn sie unberührt waren. Die Fänger vergriffen sich nicht an ihr, nachdem sie überprüft hatten, ob sie unberührt sei. Nach dieser Überprüfung schluchzte Mistle die ganze Nacht hindurch.
    Im Tal des Flusses Velde wurde die Karawane der Fänger von einer Bande Nilfgaarder Marodeure zerschlagen und restlos niedergemetzelt. Alle Fänger und alle Gefangenen männlichen Geschlechts wurden erschlagen. Nur die Mädchen wurden verschont. Die Mädchen wussten nicht, warum man sie verschonte. Sie
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