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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Mädchen, von dem die Ratten nichts wussten.
    Außer dass sie so war, wie sie selbst einst gewesen waren, jeder von ihnen. Einsam und voller Trauer, Trauer um das, was ihr die Zeit der Verachtung genommen hatte.
    Und in Zeiten der Verachtung muss jemand, der allein ist, umkommen.
    Giselher, Kayleigh, Reef, Flamme, Mistle, Asse und Falka.
    Der Präfekt in Amarillo wunderte sich über alle Maßen, als ihm berichtet wurde, die Ratten trieben jetzt zu siebent ihr Unwesen.
     
    »Sieben?«, wunderte sich der Präfekt und schaute den Soldaten ungläubig an. »Sieben waren es, nicht sechs? Bist du dir sicher?«
    »Sieben, so wahr ich leben will«, sagte undeutlich der einzige Soldat, der das Massaker überlebt hatte.
    Der Wunsch war überaus angebracht – der Kopf und das halbe Gesicht des Soldaten waren mit schmutzigen, blutdurchtränkten Binden umwickelt. Der Präfekt, der in so mancher Schlacht gewesen war, wusste, dass der Soldat einen Schwerthieb von oben abbekommen hatte – mit der äußersten Spitze des Schwertes, einen Hieb von links, gezielt, präzise, der Übung und Schnelligkeit erforderte, auf das rechte Ohr und die Wange gerichtet, eine Stelle, die weder von der Sturmhaube noch vom eisernen Kragen geschützt wurde.
    »Erzähl.«
    »Wir sind am Ufer der Velde in Richtung Thurn entlanggezogen«, begann der Soldat. »Es war befohlen, einen der Wagenzüge von Herrn Evertsen nach Süden zu eskortieren. Angegriffen haben sie uns an einer eingestürzten Brücke, wie wir den Fluss durchquert haben. Ein Wagen war festgefahren, da hatten wir die Pferde von einem anderen ausgespannt, um ihn rauszuziehen. Der Rest vom Geleitzug ist weitergefahren, ich bin mit fünf Mann und dem Intendanten zurückgeblieben. Und da sind sie über uns hergefallen. Der Intendant, ehe sie ihn umgebracht haben, konnte noch rufen, dass das die Ratten sind, und dann hatten unsere Leute sie schon auf dem Halse  ... Und sie haben sie alle niedergemacht. Wie ich das gesehen habe  ...«
    »Als du das gesehen hast« – der Präfekt verzog das Gesicht  –, »hast du dem Pferd die Sporen gegeben. Aber zu spät, um deine Haut zu retten.«
    »Sie hat mich angefallen« – der Soldat senkte den Kopf  –, »eben diese Siebente, die ich am Anfang nicht gesehen hatte. Ein Mädchen. Fast ein Kind. Ich hab gedacht, die Ratten haben sie hinten gelassen, weil sie jung und unerfahren ist  ...«
    Der Besucher des Präfekten beugte sich aus dem Schatten hervor, in dem er saß. »Es war ein Mädchen?«, fragte er. »Wie sah sie aus?«
    »Wie die alle. Angemalt und geschminkt wie eine Elfe, bunt wie ein Papagei, ausstaffiert mit Klunkern, in Samt und Brokat, dazu eine Kappe mit Federn  ...«
    »Mit hellen Haaren?«
    »Ich glaube, Herr. Wie ich sie gesehen habe, bin ich mit dem Pferd auf sie losgeritten, hab gedacht, wenigstens die erledige ich für die Kameraden, Blut um Blut  ... Bin sie von rechts angegangen, um kräftiger zuhauen zu können  ... Wie sie das gemacht hat, weiß ich nicht. Aber ich habe sie wohl verfehlt. Wie wenn ich auf ein Gespenst oder eine Erscheinung eingeschlagen hätte  ... Ich weiß nicht, wie diese Teuflin das gemacht hat  ... Obwohl ich mich gedeckt habe, hat sie mich durch die Deckung hindurch erwischt. Genau in die Fresse  ... Herr, ich bin bei Sodden dabeigewesen, bei Aldersberg auch. Und jetzt hab ich von dem verfluchten Weibsbild ein Andenken fürs ganze Leben  ...«
    »Sei froh, dass du lebst«, brummte der Präfekt und schaute seinen Besucher an. »Und sei froh, dass man dich verwundet an der Furt gefunden hat. Du wirst jetzt als Held gelten. Wenn du dich ohne Kampf verdrückt hättest, mir ohne Andenken in der Fresse den Verlust der Fracht und der Pferde gemeldet hättest, hättest du sofort am Strick mit den Fersen klappern können! Na, marschier ab. Ins Lazarett.«
    Der Soldat ging hinaus. Der Präfekt wandte sich dem Besucher zu. »Ihr seht selbst, verehrter Herr Untersuchungsführer, dass der Dienst hier nicht leicht ist, dass es keine Ruhe gibt, dass ich alle Hände voll zu tun habe. Ihr dort in der Hauptstadt glaubt, dass wir in den Provinzen Maulaffen feilhalten, Bier saufen, Mädels bumsen und Schmiergelder nehmen. Daran, mehr Leute oder mehr Geld zu schicken, denkt niemand, nur Befehle werden geschickt: Gib, mach, finde, bring alle auf die Beine, rotier von früh bis spät  ... Aber hier platzt uns vor eigenen Sorgen der Kopf. Fünf oder sechs solche Banden wie die Ratten treiben hier ihr
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