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Kein Lord wie jeder andere (German Edition)

Kein Lord wie jeder andere (German Edition)

Titel: Kein Lord wie jeder andere (German Edition)
Autoren: Jennifer Ashley
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    London, 1881
    »Eine Ming-Schale ist wie die Brust einer Frau«, sagte Sir Lyndon Mather zu Ian MacKenzie, der besagte Schale behutsam in den Händen hielt. »Die sanfte Rundung, die zarte Blässe. Finden Sie nicht auch?«
    Ian konnte sich keine Frau vorstellen, die von diesem Vergleich angetan gewesen wäre, und sparte sich ein zustimmendes Nicken.
    Das filigrane Gefäß aus der frühen Ming-Zeit war mit einer zartgrünen Glasur überzogen und so hauchdünn, dass man das Licht hindurchschimmern sah. Auf der Außenseite jagten drei graugrüne Drachen einander, und den Boden des Schaleninneren zierten vier Chrysanthemenblüten.
    Das Gefäß mochte vielleicht eine kleine runde Brust verdecken können, aber weiter wollte Ian diese Assoziation keinesfalls treiben.
    »Eintausend Guineen«, sagte er.
    Das Lächeln auf Mathers Lippen erstarb: »Aber, aber, Mylord. Ich dachte, wir seien Freunde!«
    Ian fragte sich, wie Mather auf diese Idee kam. »Die Schale ist eintausend Guineen wert.« Mit den Fingerspitzen fuhr er über den angestoßenen Rand; auch der Boden war vom jahrhundertelangen Gebrauch abgenutzt.
    Bestürzung machte sich in Mathers etwas zu schönem Gesicht breit, die blauen Augen funkelten.
    »Ich habe fünfzehnhundert dafür bezahlt. Wie kann das sein?« Aus Ians Sicht erübrigte sich jede Erklärung. Binnen weniger Sekunden hatte er alle Vorzüge und Mängel gegeneinander abgewogen und den entsprechenden Preis ermittelt. Mather sollte kein Porzellan sammeln, wenn er nicht imstande war, den Wert seiner Stücke richtig einzuschätzen. In seinen Glasvitrinen standen mindestens fünf Fälschungen, ohne dass er es ahnte.
    Ian sog den klaren, kühlen Duft der Glasur ein, der dem penetranten Geruch nach Zigarrenrauch in Mathers Haus getrotzt hatte. Die Schale war echt, sie war schön, und er wollte sie haben.
    »Zahlen Sie mir wenigstens das, was ich dafür hingelegt habe«, drängte Mather. »Der Mann hat mir versichert, dass der Kauf ein gutes Geschäft für mich ist.«
    »Tausend Guineen«, wiederholte Ian.
    »Verflucht, Mann, ich will demnächst heiraten.«
    Ian erinnerte sich an die Bekanntmachung in der Times , und zwar wortwörtlich, denn er hatte von allem, was er las und hörte, stets den genauen Wortlaut im Kopf: Sir Lyndon Mather aus St. Aubrey’s, Suffolk, gibt seine Verlobung mit der Witwe Mrs Thomas Ackerley bekannt. Die Trauung findet am 27. Juni des Jahres um 10 Uhr in St. Aubrey’s statt.
    »Meine Gratulation«, sagte Ian.
    »Mit dem Geld aus dem Verkauf möchte ich meiner Verlobten ein Geschenk machen.«
    Ian wandte keinen Blick von der Schale. »Warum schenken Sie sie ihr dann nicht einfach?«
    Mather lachte dröhnend. »Mein lieber Freund, Frauen haben doch keine Ahnung von Porzellan. Sie wird eine Kutsche und das passende Gespann dazu haben wollen und eine Schar Dienstboten, die ihr all den Flitter nachtragen, den sie kauft. Und genau das soll sie auch bekommen. Sie ist die Tochter von irgend so einem adeligen Franzmann und eine recht ansehnliche Person, wenn auch nicht mehr die Jüngste und zudem verwitwet.«
    Ian gab keine Antwort. Er hätte das Gefäß nicht für zehn Kutschen hergegeben. Und eine Frau, die die Schönheit einer Ming-Schale nicht erkannte, war eine Närrin.
    Mather rümpfte die Nase, als Ian mit der Zungenspitze die Schale berührte, um sich auf diese – für ihn sicherste – Methodevon der Echtheit der Glasur zu überzeugen. Er wusste, dass Mather eine Originalglasur selbst dann nicht erkennen würde, wenn man ihn damit von Kopf bis Fuß einpinselte.
    »Meine Verlobte bringt eine verdammt stattliche Stange Geld mit in die Ehe«, fuhr Mather fort. »Die alte Barrington hat es ihr vermacht, eine reiche Lady, die mit ihrer Meinung nie hinter dem Berg gehalten hat. Mrs Ackerley war ihre Gesellschafterin und hat das ganze Vermögen geerbt.«
    Und warum in aller Welt will sie dann dich heiraten? Ian drehte die Schale in den Händen, während er darüber nachdachte. Wie sagte man doch so treffend? Wie man sich bettet, so liegt man. Wenn Mrs Ackerley also ihr Bett mit Lyndon Mather teilen wollte, sollte sie das doch tun. Nur dass es in diesem Bett etwas eng werden könnte. Mather unterhielt insgeheim ein Haus für seine Mätresse sowie andere Damen, die ihm zu Diensten waren. Er hatte sich vor Ians Brüdern oft und gern damit gebrüstet. Ich kann genauso dekadent sein wie ihr, schien er damit sagen zu wollen. Doch nach Ians Dafürhalten verstand Mather von den fleischlichen
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