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Die Zeit der Verachtung

Die Zeit der Verachtung

Titel: Die Zeit der Verachtung
Autoren: Andrzej Sapkowski
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Finsternis waren besser. Sicherer. Vertraut. Sie deckten ihr Entsetzen und ihre Scham zu.
    Sie seufzte.
    »Sei still, Kleine«, flüsterte Kayleigh, während er ihr langsam das Hemd aufband. Langsam, mit sanften Bewegungen schob er ihr den Stoff von den Schultern und zog das untere Ende des Hemdes über die Hüften hoch. »Hab keine Angst. Du wirst sehen, wie angenehm das ist.«
    Ciri erzitterte unter der Berührung der trockenen, harten und rauen Hand. Sie lag reglos da, angespannt und verkrampft, erfüllt von einer Furcht, die sie ohnmächtig machte, ihr den Willen nahm, und von quälendem Ekel, der ihre Schläfen und Wangen mit Hitzewellen überflutete. Kayleigh schob ihr die linke Hand unter den Kopf, zog sie näher zu sich heran, versuchte dabei, die Hand wegzuschieben, mit der sie krampfhaft das untere Ende des Hemdes hielt und vergeblich versuchte, es hinabzuziehen. Sie begann zu zittern.
    In der Dunkelheit ringsum spürte sie plötzlich eine Bewegung, nahm eine Erschütterung wahr, hörte das Geräusch eines Fußtritts.
    »Bist du verrückt geworden, Mistle?«, knurrte Kayleigh und richtete sich etwas auf.
    »Lass sie in Ruhe, du Schwein.«
    »Verzieh dich. Geh schlafen.«
    »Lass sie in Ruhe, habe ich gesagt.«
    »Beunruhige ich sie etwa, oder was? Schreit sie oder versucht sich loszureißen? Ich will sie bloß sanft in den Schlaf bringen. Stör nicht.«
    »Verschwinde hier, sonst stech ich dich ab.«
    Ciri hörte, wie ein Stilett in der Metallscheide schurrte.
    »Ich meine es ernst«, wiederholte Mistle, die in der Finsternis undeutlich über ihnen stand. »Scher dich zu den Jungs. Aber plötzlich.«
    Kayleigh setzte sich auf, fluchte halblaut. Er stand wortlos auf und ging rasch weg.
    Ciri fühlte, wie ihr Tränen über die Wangen rannen, schnell, immer schneller, wie regsame Würmchen in die Haare über den Ohren krochen. Mistle legte sich neben ihr hin, deckte sie sorgsam mit dem Pelz zu. Doch sie zog das aufgeschnürte Hemd nicht zurecht. Sie ließ es, wie es war. Ciri begann abermals zu zittern.
    »Still, Falka. Es ist schon gut.«
    Mistle war warm, sie roch nach Teer und Rauch. Ihre Hand war kleiner als die Kayleighs, feinfühliger, weicher. Angenehmer. Doch die Berührung bewirkte, dass Ciri sich abermals verkrampfte, sie lähmte abermals den ganzen Körper vor Furcht und Widerwillen, presste ihr die Kiefer und die Kehle zusammen. Mistle schmiegte sich an sie, umfasste sie beschützend und flüsterte beruhigend, doch gleichzeitig bewegte sich ihre kleine Hand unablässig wie eine warme Schnecke, ruhig, sicher, entschlossen, wohlvertraut mit Weg und Ziel. Ciri fühlte, wie sich die eiserne Zange von Ekel und Angst öffnete, ihren Griff lockerte, sie fühlte, wie sie selbst aus diesem Griff schlüpfte und abwärts fiel, tief, immer tiefer, in den warmen und nassen Tümpel von Resignation und machtloser Nachgiebigkeit.Einer widerwärtigen und demütigend angenehmen Nachgiebigkeit.
    Sie seufzte dumpf, verzweifelt. Mistles Atem ging heiß an ihrem Hals, die samtweichen und feuchten Lippen liebkosten die Schulter, das Schlüsselbein, glitten langsam tiefer. Ciri seufzte abermals.
    »Still, Falkenjunges«, flüsterte Mistle und schob ihr vorsichtig einen Arm unter den Kopf. »Du bist nicht mehr allein. Nicht mehr.«
     
    Am Morgen stand Ciri in der Dämmerung auf. Sie glitt langsam und vorsichtig unter den Pelzen hervor, um Mistle nicht zu wecken, die mit offenem Mund schlief und die Augen mit dem Unterarm bedeckt hatte. Auf dem Unterarm hatte sie Gänsehaut. Ciri deckte das Mädchen sorgsam zu. Nach kurzem Zögern näherte sie sich, küsste sie sanft auf die kurzen, wie eine Bürste abstehenden Haare. Mistle murmelte etwas im Schlaf. Ciri wischte sich eine Träne von der Wange.
    Sie war nicht mehr allein.
    Die übrigen Ratten schliefen auch noch, jemand schnarchte hörbar, jemand furzte ebenso hörbar. Flamme lag da, den Arm quer über Giselhers Brust, ihr üppiges Haar fiel wirr auseinander. Die Pferde schnaubten und stampften, ein Specht hämmerte mit kurzen Folgen von Schlägen gegen den Stamm einer Föhre.
    Ciri lief zum Fluss. Sie wusch sich lange, zitterte dabei vor Kälte. Sie wusch sich mit heftigen Bewegungen, versuchte von sich abzuwaschen, was nicht mehr abzuwaschen war. Über die Wangen rannen ihr Tränen.
    Falka.
    Das Wasser schäumte und rauschte über die Steine, floss fort in den Nebel.
    Alles floss fort. In den Nebel.
    Alles.
     
    Sie waren Abschaum. Sie waren eine seltsame Ansammlung,
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