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Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)

Titel: Die Zeit der Himmelsfeuer (German Edition)
Autoren: René Menez
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Hatte sie etwa vor, alleine weiterzugehen? - In ihrer Wut schien Kar den Verstand verloren zu haben.
    „Nicht, Kar! Wo willst du hin? - Für die Ahnen, bleib!“, schrie Maramir mit zitternder Stimme. Als Kar stur weiterging, rannte Maramir hinterher, stürzte sich auf sie und riß sie zu Boden. Geschickt wand sich Kar aus der Umklammerung, wälzte sich über Maramir hinweg, sprang auf und versetzte ihr einen Tritt. Maramir sah, daß Kar weinte. Rasch wendete Kar sich von ihr ab und stolperte durch den Schnee. Noch einmal hetzte Maramir ihr nach und versuchte sie festzuhalten. Kar stieß sie so entschlossen von sich, daß Maramir stürzte. Als sie aufschaute, in das Gesicht Kars sah, bot sich ihr ein Bild, das sie nicht vergessen hatte. Sie erinnerte sich an die ausgestochenen Augen des Toten. Ihr wurde bewußt, zu was ihre Schwester fähig war. Plötzlich empfand sie solche Angst, daß sie es nicht wagte aufzustehen. Kar drehte ihr den Rücken zu, ging weiter und verschwand zwischen den Bäumen. Gequält krümmte sich Maramir, während die schrecklichen Bilder der Erinnerung wieder aufflackerten. Da war der verzweifelte stumme Schrei in den Augen ihrer Mutter gewesen; Maramirs eigene Fassungslosigkeit zeichnete sich in dem alten, vor Schmerz erstarrtem Gesicht ab, nachdem die Spitze eines Speeres an Mutter Weißhaars Hals eine tiefe, stark blutende Wunde hinterlassen hatte. - Aber die Sehnsucht nach vergangenen Tagen trieb die Bilder in ihrem Kopf voran, - bis sie sich schließlich aufsetzte und allmählich zur Ruhe kam. Es war, als würde die Hand ihrer Mutter sie trösten. Sie glaubte die Anwesenheit der Ahnen zu spüren. Sie war nicht allein.
    Maramir stand auf und machte sich daran, Kars Spuren zu folgen. Nach einer Weile entdeckte sie Kar in einer Senke zwischen den Hügeln. Sie war dabei, den Schnee von Sträuchern zu klopfen, auf der Suche nach etwas Eßbarem. Kar hatte lediglich einen Speer dabei, - sie würde zurückkommen ...
     
    Am Abend kehrte Kar endlich zurück. Der Ausdruck des Zorns war aus ihrem Gesicht verschwunden. Sie hockte sich neben Maramir ans Feuer und öffnete ein ledernes Säckchen, das vergorene, runzelige Beeren des Schlehdorns sowie welke, alte Brombeerblätter enthielt. Dankbar nahm Kar die erwärmte Leber, die Maramir ihr anbot. Und während Maramir aus den ihr überreichten Zutaten einen Sud zubereitete, begann Kar nach den ersten Bissen zu berichten, daß sie auf die Spuren von Mähnenwölfen gestoßen war, und daß auch die Ahnen noch in der Nähe waren. Kar sprach davon, daß die Wölfe in der Nacht vielleicht zurückkämen.
    Die Wölfe beunruhigten Maramir nicht, sie fürchtete die größeren Jäger der Nacht: die Hyänen.
    „Wir brauchen ein großes Feuer heute Nacht!“, stellte sie besorgt fest und machte sich daran, aus Birkenborke, welkem Schilf und trockenen Zweigen mehrere Fackeln zu binden.
    Währenddessen hockte Kar am Feuer und musterte mit Unbehagen das Spitzgesicht. Sie traute dem Fremden nicht. Wäre er bei dem Kampf nicht verletzt worden, hätte er sie und Leinocka vermutlich getötet. Und Maramir, an der er sichtlich Gefallen fand, hätte er wahrscheinlich verschleppt. Warum nur glaubten Maramir und Leinocka, er sei anders als die anderen Männer fremder Stämme? Gerade Leinocka mußte es am besten wissen, ein geraubtes junges Mädchen, das ohne Ansehen des Stammes unter ihnen gelebt hatte. Vor zwei Kleinen Himmelsfeuern hatte sie ihre erste Leibesblutung bekommen. Sie genoß nicht einmal den Rang einer Mutter. Die Männer waren gierig zu ihr gekommen. Schutz hatte sie nur unter den Frauen gefunden, die sich ihrer angenommen hatten. - Und Maramir? Gewaltsam hatten fremde Männer sich über sie hergemacht, noch bevor sie am nächsten Fest des Voll erwachten Kleinen Himmelsfeuers zur Frau geworden wäre; so wie es Brauch war, weil die Zeit ihrer Leibesblutungen gekommen war. Auch Kar hatte man während eines solchen Festes zur Frau gemacht. Grauer Wolf hatte damals das Ritual des ersten Tanzes mit ihr vollzogen. Wild und unbeherrscht hatte er in sie gestoßen, und sie erinnerte sich noch genau daran, dabei keine Freude empfunden zu haben. Danach hatte sie sich niemals aus Freude zu einem Mann gelegt; sie hatte es getan, um den Frieden in der Gemeinschaft zu wahren und somit den Stamm zu stärken. Aber im Gegensatz zu Maramir und Leinocka hatte sie wählen können, welchem Mann sie sich hingab. Bei dem Gedanken, daß sich das Spitzgesicht an ihr vergreifen könnte,
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