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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
Autoren: Peter Conrad
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selbst – sie war ein Wesen aus einer anderen Welt, jemand der nicht hierher gehörte.
    Fröstelnd schlang sie ihre Arme um sich. Die Kälte die sie in diesem Augenblick empfand, kam aus ihrem Inneren und erreichte ihre Haut nicht. Sie schien direkt aus ihrem Herzen zu kommen, sie war real und über die Maßen beängstigend. Eleanor fühlte sich plötzlich klein und alleingelassen, schutzlos und bedroht. Furchtsam blickte sie noch einmal über ihre Schulter zu jenem Acker zurück, an dessen Rand die finsteren Bäume sich zu einem lautlosen Wind bewegten.
    ‚Komm zu uns. Komm zu uns‘, schienen sie zu befehlen, doch Eleanor wusste, dass von jenem Ort eine Gefahr ausging, ein namenloses Grauen, das sie verschlingen und auslöschen konnte.
    Sie zwang sich, den Blick abzuwenden und rannte über die nebligen Wiesen auf jenes rote Licht zu, das sie vorhin am Firmament gesehen zu haben glaubte.
    Die düstere Landschaft unter den rasende n grauen Wolken wurde langsam hügelig. Noch immer war sie von tiefem farblosem Gras bestimmt, zwischen dem dunkle Felsen verstreut lagen. Hier und da erhoben sich schwarze Bäume, die sich unter der Kraft des unwirklichen Windes beugten, stöhnten und sich ihm entgegenstemmten. Von diesen Bäumen hielt Eleanor sich fern, denn irgendetwas in ihr hielt diese allzu lebendigen Bäume für bedrohlich.
    ‚Merkwürdig‘, dachte sie. ‚In der Welt der Lebenden habe ich Bäume geliebt. Ich hielt sie immer für sanft und beruhigend. Aber hier ist etwas an ihnen, das mir unheimlich ist. So als könnten sie mich plötzlich greifen und mit ihren Ästen in Stücke reißen.‘
    So lief Eleanor in sicherem Abstand zwischen den weit verstreuten Bäumen hindurch, sorgsam darauf bedacht, keinem von ihnen zu nahe zu kommen.
    Sie hätte nicht sagen können, wie lange sie schon durch diese einsame und unheimliche Landschaft gelaufen war, als sich urplötzlich das hohe Gras der bleichen Wiesen vor ihr teilte und sie sich am Rande eines Weges wiederfand. Es war ein einfacher Feldweg, vielleicht zwei Meter breit, der quer zu ihrer Laufrichtung verlief und die Graslandschaft teilte. Eleanor blieb abrupt stehen und blickte vorsichtig nach rechts und nach links. Nirgendwo war ein Zeichen von Leben zu sehen, keine Reisenden, keine Fußspuren, nicht einmal der charakteristische Abdruck von Rädern.
    Eleanor zögerte kurz, dann entschied sie sich, den Weg zu betreten und ihre Schritte nach rechts zu lenken. Diese Richtung kam jener am nächsten, in der sie den roten Lichtschein am Himmel gesehen hatte. Sie war hingegen erst wenige Meter gegangen, als ihr erneut bewusst wurde, wie ungewöhnlich diese Welt war. Ihre Füße gingen nun nicht länger auf Gras, sondern auf Stein und Sand. Und dennoch wäre sie nicht in der Lage gewesen, diesen Unterschied zu fühlen. Ebenso wie beim Wind und der Kälte dieses Ortes reagierte ihr Körper auch hier nicht auf den ungewohnten Untergrund. Sie hätte über spitze und scharfe Steine laufen können und hätte doch keinen Schmerz verspürt.
    ‚Wenn mein Körper hier nicht länger den Regeln der Lebenden unterworfen ist – was für Möglichkeiten muss er dann haben?‘, fragte sie sich.
    Zögernd begann sie zu laufen. Zunächst noch langsam, dann immer schneller. Schließlich flog sie förmlich über den schmalen Feldweg, während die Kieselsteine unter ihr zu beiden Seiten in die Wiesen flogen.
    ‚Ich werde nicht müde !‘, dachte sie verwundert. Abrupt blieb sie stehen. Ihre Atmung war ruhig und ausgeglichen. Keine Anzeichen von Erschöpfung oder Muskelschmerzen. Von einem Augenblick auf den anderen war es so, als sei sie nie gelaufen, kein Adrenalin in ihrem Körper, keine Glücksgefühle, keinerlei Anspannung.
    ‚Wie trostlos ist ein Leben ohne Körper‘, dachte sie. ‚So oft regt man sich über die Schwächen seines Körpers auf, aber wenn sie tatsächlich alle weg sind, fühlt man sich leer und tot !‘
    Betrübt ging sie weiter. Wenn dies ein Teil des Todes war, dann war es einer, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Selbst die Unzulänglichkeiten seines Körpers konnte man vermissen, denn die meisten kamen doch zumindest mit einem kleinen Ausgleich einher, der sie erträglich machte. Eleanor war nie sportlich gewesen – ganz im Gegenteil. In der Schule war sie im Sportunterricht immer eine der Schlechtesten gewesen. Aber auch wenn sie keine schnelle oder ausdauernde Läuferin gewesen war, so war doch ein Spurt in ihrem langsamen und schwachen Körper um so viel
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