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Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)

Titel: Die zehn Kreise (Höllenfeuer) (German Edition)
Autoren: Peter Conrad
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hinab.
    „Wollen wir?“
     
    …
     
    Als Eleanor erneut erwachte, erkannte sie die Welt nicht wieder. Sie lag auf einem Acker, der gepflügt, doch noch kahl war. Stoppelige Strohreste der letzten Ernte und kleine Steine lagen zwischen den Ackerfurchen. Ein ungewohnter Anblick in einer Zeit der Mähdrescher und traktorgezogenen Pflüge. Ein merkwürdiger Grauschleier lag auf ihrer Umgebung, der ganzen Welt, soweit sie sehen konnte.
    Sie blickte zum Himmel hinauf und erschrak. Über ihr lag eine dichte, tiefliegende Wolkendecke, die sich mit atemberaubender Geschwindigkeit fortbewegte. Vom Blau des Himmels war nicht das Geringste zu sehen. Keine Sonne, kein Mond, keine Sterne. Nur diese dichte, rasende Wolkendecke, die die ganze Welt in Grau und Zwielicht tauchte. Alles war seltsam farblos und düster, wirkte leer und tot.
    ‚Unheimlich‘, dachte Eleanor. ‚Wo mag ich nur sein ?‘
    Einige Dutzend Meter weiter am Rand des Feldes ging die Landschaft auf zwei Seiten des Ackers in Wald über. Dicht und dräuend standen die finsteren Bäume gleich einer Mauer, die kein Lebewesen hindurch lassen würde.
    Die zwei verbleibenden Seiten des Ackers hingegen ließen den Blick über eine hügelige Landschaft gleiten, die nur ganz vereinzelt von Bäumen durchbrochen war, ansonsten aber von hohem Gras bedeckt wurde über dem Raureif lag und graue Nebelschwaden lautlos schwebten.
    Eleanor fröstelte. Sie hätte nicht sagen können, dass ihr tatsächlich kalt war, doch der Anblick vor ihr löste in ihr ein Schaudern aus, das sie sonst nur durch Kälte kannte. Sie atmete tief aus und beobachtete die kleinen Dampfwölkchen, die aus ihrem Mund in die Luft entwichen. Dies war ein merkwürdiger Ort, wo Kälte herrschte, ohne dass man fror.
    Eleanor drehte sich im Kreis um zu entscheiden, wohin sie gehen könnte. Dort in den Wald hinein schien ihr keine gute Idee zu sein. Gespenstisch und furchterregend wiegten sich die finsteren Bäume dort in einem Wind, der nicht zu spüren und nicht zu hören war. Fast schien es, als seien sie lebendig und riefen sie lautlos zu sich. Hinein in die Dunkelheit, hinein in das Grauen.
    Zitternd wandte sie sich ab. Nein, lieber über die Nebelwiesen dort drüben. Vielleicht würde sie in dieser Richtung auf jemanden treffen. Einen Menschen, der ihr sagen konnte, wo sie hier gelandet war. Und sah sie dort in der Ferne nicht einen Lichtschimmer über den Himmel huschen? Vielleicht hatte sie es sich nur eingebildet, doch sie hätte schwören können für den Bruchteil einer Sekunde fern am Horizont ein rotes Leuchten in den grauen Wolken aufflackern gesehen zu haben.
    Hastig setzte sie sich in Bewegung. Nur fort von dem Wald und diesem unheimlichen Acker. Nur nicht zurückblicken.
    Die Nebelschwaden über dem Gras teilten sich unter ihren Füßen, als sie den Acker verließ. Sie war barfuß, wie sie verwirrt feststellte. Hatte sie gar keine Schuhe angehabt, als sie sich in Stratton Hall das Treppenhaus hinuntergestürzt hatte? Sie wusste es nicht zu sagen.
    Und noch etwas war auffallend. Während sie durch das hohe, neblige Gras lief , beschlich sie das Gefühl, dass irgendetwas hier vollkommen anders war, als es hätte sein sollen. Verunsichert blieb sie stehen und sah an sich hinab. Das Gras schien feucht vom Tau zu sein, ihre Füße jedoch fühlten weder Kälte noch Nässe.
    ‚Natürlich, ich bin ein Geist !‘, dachte sie. ‚Geister fühlen nichts mehr. Diese Wiese mag feucht sein, aber ich habe keinen wirklichen Körper mehr, der das spüren könnte.‘
    Erneut sah sie sich um. Den Bäumen und den Wolken nach zu urteilen musste es windig, ja stürmisch sein. Doch sie hörte den Wind ebenso wenig, wie sie ihn auf der Haut fühlen konnte. Es mochte kalt sein, doch sie nahm die Kälte nicht wahr.
    Eleanor schob sich eine Strähne ihres Haares aus dem Gesicht, die der Wind dorthin geweht hatte. An diesem Ort schien die Physik anderen Regeln zu folgen als in der Welt der Lebenden. Ihre Haare bewegten sich nicht auf die Weise, die der Wind eigentlich vorgab. Ihre Füße wurden im Gras nass, doch sie spürte es nicht. Ihr Atem produzierte Dampfwölkchen, doch ihr Körper fror nicht. Ein ungewöhnlicher Ort, beängstigend und fremd.
    Eleanor musste an den Tag denken, als Lilith neben dem Bus aus Bude hergeflogen war. Auch ihre Haare hatten sich gänzlich anders bewegt, als es die Naturkräfte eigentlich gefordert hätten. Wie ein Lebewesen unter Wasser hatte sie gewirkt. Genau so erging es jetzt ihr
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