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Die Zarin der Nacht

Die Zarin der Nacht

Titel: Die Zarin der Nacht
Autoren: Eva Stachniak
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Spucke in ihre Haut einmassieren.
    Das Bett ist weich. Die Federmatratze ist gelüftet worden und riecht nach dem Wind; doch die Annehmlichkeit, die all das bereiten soll, hält nicht lange.
    Â»Zieh es strammer«, befiehlt Maman, taub für die Bitten ihrer Tochter.
    Das Lederkorsett hat Gurte, die sich tief ins Fleisch graben, die Haut wund scheuern. Aus den Blasen tritt Eiter, rote Striemen auf ihren Schultern haben sich in offene Wunden verwandelt.
    Â»Lieg still, Sophie«, hört sie Mamans ungeduldige Stimme. »Es tut nur noch mehr weh, wenn du dich bewegst.«
    Â»Warum, Maman?«
    Â»Weil niemand einen Krüppel heiraten wird, Sophie.«
    Nur dass sie bereits verheiratet sein muss, denn Peter, ihr Ehemann, steht neben ihrem Bett. Er ist so jung, fast noch ein Kind, sein Gesicht ist noch glatt, ohne Pockennarben. Er befingert den Bettvorhang, spielt mit den goldenen Quasten. Flicht sie ineinander und lässt sie wieder auseinandergleiten. Seine Finger sind lang und wohlgeformt.
    Â»Ich bin kein Ungeheuer, Katharina«, sagt er. »Alles, was ich will, sind meine Flöte, mein Mohr und meine Mätresse. Ist das zu viel verlangt?«
    Â 
    Wer hat dich hereingelassen, Peter?
    Wo sind die Wachen? Hast du sie bestochen?
    Â 
    Â»Bist du krank, Sophie? Oder bist du etwa wieder schwanger?« Er zuckt die Schultern und kichert, als wäre seine Anwesenheit an ihrem Bett ein gelungener Scherz. Ein Grund für ungeheure Heiterkeit.
    Peter hebt die Arme, um sein Gesicht zu schützen. Sein langer, magerer Körper faltet sich zusammen. Er kauert auf dem Boden. »Ich will nicht sterben«, schluchzt er. »Bitte, Sophie! Lass mich am Leben!«
    Â 
    Erinnerst du dich, Peter? Erinnerst du dich an das einstürzende Haus? Erinnerst du dich, wie schnell du fortranntest? Ich hätte damals sterben können.
    Â 
    Â»So möchtest du es also in Erinnerung behalten.«
    Â 
    Es ist die Wahrheit.
    Â 
    Â»Die Wahrheit? Die Wahrheit ist, dass du immer meinen Tod wolltest, Katharina. Und dass du immer bekommen hast, was du wolltest.«
    Â 
    Gerüchte verfolgen sie. Hässliche, gemeine Gerüchte, die sie demütigen, auf ihren Platz verweisen sollen.
    Man nennt sie eine lüsterne Frau.
    Unersättlich in ihrer Gier.
    Das sind die Gerüchte der Nacht. Gerüchte darüber, wie sie sich erniedrigt, mit ihrer Macht verführt, denn nichts an ihrem alternden Körper ist an sich begehrenswert. Wie sie alles kauft – die Schmeichelei, mit der sie sich umgibt, und die erzwungene Aufmerksamkeit ihrer Liebhaber.
    Wie sie die Unschuldigen beraubt, um für ihre eigenen Sünden zu bezahlen.
    Kaiser Peter III . ist tot. Batuschka . Der gute Zar. Der Vater seines Volks. Dahingerafft in der Blüte seiner Jahre. Ehe er all seinen Kindern Glück und Gerechtigkeit schenken konnte.
    Das ist tatsächlich Peter, über den sie da sprechen. Ihr lächerlicher Ehemann, der sich Nacht für Nacht um den Verstand trank. Der Ratten umbrachte, wenn sie seine Zinnsoldaten annagten.
    Â 
    Â»Den ersten Menschen, den man getötet hat, vergisst man nicht«, hat Papa einmal gesagt.
    Â 
    16.05 Uhr
    Rogerson, dem eine Locke seines rötlichen Haars in die Stirn gefallen ist, hebt ihre Hand und fühlt ihren Puls.
    Â 
    Hier ruht Herzogin Anderson
    Die Mister Rogerson biss.
    Â 
    Ich sollte ihm etwas sagen.
    Ich rieche meinen eigenen Atem. Er stinkt.
    Ich sehe den Baldachin. Minerva blickt auf mich herab.
    Â 
    Wie schnell der Zerfall beginnt. Rosen bekommen schwarze Flecken. Päonien verwandeln sich in weichen Matsch. Blumenbeete werden von Soldatenstiefeln zertrampelt. In den Palastkorridoren hat jemand die Augen aus den Porträts gebohrt, die gemalten Gesichter aufgeschlitzt. Leblose Kinder, die Körper von Kugeln durchsiebt, stapeln sich auf dem schmutzigen Boden.
    Ãœberall liegen Gegenstände verstreut: ein Stuhl mit einem zerbrochenen Bein, halb abgebrannte Kerzen, schmutzige Taschentücher. Silberne Haarbürsten mit Büscheln grauer Haare. Bücher mit zerrissenen Seiten. Papier, lauter einzelne Bögen, mit zerlaufener Tinte bekleckst.
    Â»Wie kannst du nur in solch einem Chaos leben, Sophie? Hast du alles vergessen, was ich dir beigebracht habe?«
    Â 
    Man muss die Dienstboten im Auge behalten. Wenn sie den Taft nicht sorgfältig zusammenlegen, bekommt er Falten und bricht. Alle Knicke müssen mit Musselin oder geknülltem
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