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Die Zahlen Der Toten

Die Zahlen Der Toten

Titel: Die Zahlen Der Toten
Autoren: Linda Castillo
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brauche und nicht den Morgenrock, knipse ich die Lampe an. Das Licht schmerzt in meinen Augen, aber ich bin jetzt hellwach. Trotzdem habe ich Mühe, mir vorzustellen, dass einer meiner Officers eine Leiche gefunden hat. Ich frage nach dem Fundort, und sie nennt ihn mir.
    »Ruf Doc Coblentz an«, sage ich. Doc Coblentz ist einer von sechs Ärzten hier in Painters Mill und der zuständige Coroner für Holmes County, Ohio.
    Ich gehe zum Schrank, nehme BH , Socken und lange Unterhosen heraus. »Sag T. J., er soll nichts anfassen und auch die Leiche nicht bewegen. Ich bin in zehn Minuten da.«
    · · ·
    Die Farm von Stutz umfasst 32  Hektar Land und grenzt an die Dog Leg Road sowie die nördliche Gabelung des Painters Creek. Der Fundort, den Mona mir genannt hat, liegt knapp tausend Meter hinter der alten überdachten Brücke an einem einsamen Straßenabschnitt, der an der County-Grenze endet.
    Ich halte hinter T. J.s Streifenwagen, träume von einem Kaffee. Im Licht meiner Scheinwerfer erkenne ich seine Silhouette auf dem Fahrersitz. Er hat Warnleuchten aufgestellt und sein Blaulicht angelassen. Gut. Mit der Taschenlampe in der Hand steige ich aus dem Ford Explorer. Kälte schlägt mir entgegen, lässt mich tief in meinen Anorak kriechen und wünschen, ich hätte die Mütze nicht vergessen. Aus der Nähe betrachtet sieht T. J. ziemlich mitgenommen aus. »Was gibt’s?«
    »Eine Leiche. Weiblich.« Er bemüht sich, seiner Polizistenrolle gerecht zu werden, doch als er zum Feld zeigt, zittert seine Hand. Und das liegt nicht an der Kälte. »Zehn Meter feldeinwärts, bei den Bäumen.«
    »Und sie ist ganz sicher tot?«
    T. J.s Adamsapfel schnellt zweimal auf und ab. »Sie ist kalt. Kein Puls. Alles ist voller Blut.«
    »Dann sehen wir uns das mal an.« Wir gehen in Richtung der Bäume. »Haben Sie irgendwas angefasst? Oder verändert?«
    Er senkt leicht den Kopf, was wohl Ja bedeutet. »Ich dachte, dass sie vielleicht … noch lebt, und hab sie umgedreht, nachgesehen.«
    Das ist schlecht, aber ich sage nichts. T. J. Banks hat das Zeug zum guten Polizisten. Er ist gewissenhaft und nimmt seine Arbeit ernst. Aber er ist ein Neuling und noch unerfahren, arbeitet erst seit sechs Monaten für mich. Ich könnte wetten, das ist seine erste Leiche. Wir stapfen durch knöcheltiefen Schnee. Als ich die Tote sehe, packt mich das kalte Grauen. Ich wünschte, es wäre hell, doch bis Tagesanbruch dauert es noch Stunden. Die Nächte sind lang in dieser Jahreszeit. Das Opfer ist nackt. Um die zwanzig. Dunkelblondes Haar. Die Blutlache um ihren Kopf ist zirka sechzig Zentimeter groß. Sie war einmal hübsch, doch tot hat ihr Gesicht etwas Grausiges. Die Totenflecken verraten, dass sie ursprünglich auf dem Bauch gelegen hat; die eine Gesichtshälfte ist schon blaurot. Ihre Augen stehen halb offen und sind glasig. Die Zunge, auf der sich Eiskristalle gebildet haben, quillt zwischen den geschwollenen Lippen hervor.
    Ich gehe neben der Toten in die Hocke. »Sieht aus, als ob sie schon ein paar Stunden hier liegen würde.«
    »Frostbrand hat bereits eingesetzt«, bemerkt T. J.
    Obwohl ich sechs Jahre lang Streifenpolizistin in Columbus, Ohio, und danach zwei Jahre in der Mordkommission war, ist mir das hier eine Nummer zu groß. Columbus ist zwar nicht gerade eine Mörderhochburg, hat aber wie jede Stadt ihre dunklen Seiten. Tote habe ich mehr als genug gesehen. Doch die offenkundige Brutalität dieser Tat entsetzt mich. Ich hätte gern geglaubt, dass es in einem Ort wie Painters Mill keine so grausamen Morde gibt.
    Doch ich weiß es besser.
    Ich ermahne mich, dass wir uns an einem Tatort befinden, also stehe ich auf und leuchte mit der Taschenlampe die Umgebung ab. Es gibt keine Spuren außer unseren eigenen. Ein ungutes Gefühl sagt mir, dass wir möglicherweise Beweismittel zertrampelt haben. »Rufen Sie Glock an, er soll herkommen.«
    »Glock hat Url…«
    Mein Gesichtsausdruck lässt ihn mitten im Wort verstummen.
    Das Polizeirevier von Painters Mill besteht aus drei Vollzeit-Kräften, einem Hilfspolizisten, zwei Angestellten in der Telefonzentrale und mir. Rupert »Glock« Maddox, ein ehemaliger Marine, besitzt die größte Erfahrung. Den Spitznamen hat er seiner Vorliebe für die Dienstwaffe zu verdanken. Urlaub hin oder her, ich brauche ihn.
    »Sagen Sie ihm, er soll Absperrband mitbringen.« Ich überlege, was wir sonst noch brauchen. »Bestellen Sie einen Krankenwagen. Geben Sie im Krankenhaus von Millersburg Bescheid, dass
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