Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl
Autoren: Daniela Larcher
Vom Netzwerk:
sich krankzumelden oder Urlaub zu nehmen und die Ermittlungen irgendeinem Kollegen aus Innsbruck zu überlassen. Doch irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen. Er hatte Josef Anders gekannt. Heute hatte er Iris Anders, Josefs Witwe, trösten müssen. Dieser Fall betraf ihn höchstpersönlich. Jemand war in seine heile Welt eingedrungen, hatte seine Idylle zerstört und sein angenehmes Leben in einen Albtraum verwandelt. Morell empfand ein seltsames Gefühl in seinem Bauch, und es dauerte einige Zeit, bis er verstand, was mit ihm los war. Er war wütend. Er nahm diesen Mord persönlich. Er wollte sein Leben so weiterleben wie bisher, und wenn das bedeutete, dass er dafür einen Mörder fangen musste, dann würde er das tun.
    »Au! Spinnst du?« Fred hatte seine Krallen in Morells Schenkel versenkt und fauchte. Morell hatte gar nicht bemerkt, dass er vor lauter Aufregung seine Finger in den Rücken des Tieres gekrallt hatte.
    Fred sprang auf den Boden und verschanzte sich unter der Couch.
    Seine Versuche, den beleidigten Kater aus seinem Versteck zu locken, wurden durch das Klingeln der Türglocke unterbrochen. Morell sah auf die Uhr. Es war kurz vor acht. Wer das wohl sein konnte? Er ging die Treppe hinunter ins Erdgeschoss und öffnete die Tür.
    Vor ihm stand eine junge Frau Ende zwanzig. Sie sah nicht schlecht aus, war aber auch nicht das, was man im landläufigen Sinne eine umwerfende Schönheit nennen würde. Ihre braunen Haare waren zu einem praktischen Pagenkopf geschnitten, und sie trug eine Hornbrille.
    »Chefinspektor Morell?«, fragte sie.
    »Steht vor Ihnen.«
    »Guten Abend.« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. »Mein Name ist Dr.Nina Capelli. Ich bin die Gerichtsmedizinerin, die Ihnen Ralph Haug versprochen hat. Er hat mich heute Morgen angerufen und mir von Ihrem Fall erzählt.« Sie wischte sich ein paar Schneeflocken aus dem Haar. Es hatte wieder begonnen zu schneien. »Er lässt Ihnen noch einmal ausrichten, dass es ihm wirklich leid tut, dass er keine Verstärkung schicken kann«, fuhr sie fort. »Aber Sie wissen ja, was im Advent los ist. Viele Suizide und viel Gewalt. Die gute alte Winterdepression.« Sie vergrub die Hände in den Taschen ihres roten Anoraks.
    »Aber Sie waren trotzdem verfügbar«, wunderte sich Morell.
    »Eigentlich nicht. Eigentlich hätte heute mein Urlaub beginnen sollen. Ich fahre für zwei Wochen zu meiner Tante nach Italien, wo es hoffentlich ein wenig wärmer sein wird.« Sie lächelte bei dem Gedanken daran. »Haug hat mich gerade noch erwischt und gesagt, es wäre ein Notfall. Er meinte, dass Sie ein alter Freund von ihm wären und dass ich etwas bei ihm gut hätte, wenn ich einen kleinen Umweg fahre und mir Ihre Leiche ansehe.« Sie musste Luft holen. »Und hier bin ich und rede schon wieder zu viel, ich altes
Plappermaul. Jedenfalls habe ich mich gleich nach Haugs Anruf ins Auto ...«
    »Kommen Sie doch erst einmal herein«, unterbrach Morell sie. »Sie holen sich ja den Tod da draußen.« Er trat einen Schritt zur Seite und ließ Dr.Capelli eintreten.
    »Brrrrr!«, sie schüttelte sich. »Was für ein Wetter. Ich kann mich nicht erinnern, wann es das letzte Mal so kalt war.«
    »Wem sagen Sie das?«, meinte Morell. »Ich musste den ganzen Tag lang im Freien einen Tatort mit einer steifgefrorenen Leiche absichern.«
    »Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass ich noch so spät bei Ihnen daheim auftauche. Ich wollte eigentlich schon am Nachmittag hier sein, aber erst bin ich in der Gerichtsmedizin aufgehalten worden und dann war ein Unfall auf der Bundesstraße, und ich habe ewig im Stau gesteckt. Ihr netter junger Kollege in der Polizeistation hat mir Ihre Adresse gegeben und gemeint, ich würde Sie hier finden.«
    Bender war also noch im Büro. Sehr wahrscheinlich tippte er gerade seinen Bericht und versuchte verzweifelt, nicht mehr an den Toten in der Leichenhalle zu denken. Morell musste schmunzeln. ›Ja, ja, mein lieber kleiner Robert‹, dachte er. ›Du wolltest immer einen spektakulären Fall. Jetzt hast du ihn und musst sehen, wie du damit klarkommst.‹ Morell wandte sich wieder seinem Gast zu.
    »Kommen Sie mit, ich mache Ihnen einen Tee.« Das war heute schon das zweite Mal, dass er einer Frau bei sich zu Hause anbot, Tee zu kochen. »Folgen Sie mir, bitte.«
    »Sie haben aber ein schönes Haus«, stellte Capelli fest.
    »Vielen Dank!«
    »Wohnen Sie ganz alleine hier?«, fragte sie. »Am Türschild stand nur Ihr Name.« Sie hielt inne. »Entschuldigung,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher