Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl
Autoren: Daniela Larcher
Vom Netzwerk:
was der Kühlschrank so zu bieten hat, und danach werde ich Ihnen ein Zimmer herrichten.« Morell wollte schon in die Küche gehen, als ihm etwas einfiel.
    »Verflixt!«, sagte er und fasste sich an den Kopf.
    »Was ist denn?«, fragte Capelli.
    »Ich muss nochmal zur Leichenhalle fahren.«
    »Warum das?«
    »Ich muss den Körper ein wenig antauen, sonst können Ihre Leute ihn morgen unmöglich mitnehmen.«
    »Ich verstehe nur Bahnhof«, sagte Capelli und sah Morell fragend an.
    »In dem Zustand, in dem sich der Leichnam momentan befindet, passt er weder in einen Leichensack noch in einen Sarg. Ich bezweifle sogar, dass er durch die Tür des Transporters geht.«
    »Jetzt haben Sie mich aber neugierig gemacht. Das will ich mir ansehen.«
     
    Wenige Minuten später saßen sie in Morells Streifenwagen und fuhren zur Kirche. ›Zwei Frauen haben heute an meiner Tür geklingelt‹, dachte Morell. ›Beiden habe ich Tee angeboten, und beide Male musste ich anschließend in die Leichenhalle fahren. Das Leben ist schon manchmal komisch.‹
    Als sie auf dem Marktplatz vor der Kirche ausstiegen, blies der
Wind ihnen den Schnee waagerecht ins Gesicht. Morell zog den Kopf ein und suchte in seiner Jackentasche nach dem Schlüsselbund, den er sich von Agnes Schubert hatte geben lassen. »Hier entlang«, rief er. »Erschrecken Sie übrigens nicht. Es ist wirklich eine ganz böse Sache.« Sie gingen gemeinsam durch das große Tor und stapften über den verschneiten Friedhof. Ein kleiner Weg führte durch die Reihen aus Marmorgrabsteinen und schmiedeeisernen Kreuzen direkt zur Leichenhalle.
    Sie betraten das kleine Gebäude und schüttelten sich den Schnee von den Kleidern. Morell führte die Gerichtsmedizinerin in den hinteren Teil des Aufbahrungsraums, wo Anders’ Leichnam lag.
    Morell wusste zwar, welcher Anblick ihn erwartete, aber trotzdem krampfte sich sein Magen zusammen, als er die steifen Gliedmaßen des Toten sah, die noch immer links und rechts unter dem Tuch hervorragten.
    »Oh«, sagte Capelli überrascht. »Jetzt verstehe ich, was Sie gemeint haben. Sie haben recht. Solange er seine Arme und Beine so wegstreckt, wird es nicht möglich sein, den Toten in den Leichenwagen zu bekommen.« Sie trat an die Bahre, hob das Tuch hoch und nickte anerkennend mit dem Kopf, als würde sie eine Trophäe bewundern. »Den hat aber jemand übel zugerichtet.«
    »Ich habe Ihnen ja gesagt, dass es eine böse Sache ist«, meinte Morell und wusste nicht, ob er hinsehen sollte oder lieber nicht.
    »Stimmt, Sie haben wirklich nicht übertrieben.« Sie zog ein Päckchen aus ihrer Jackentasche, dem sie ein Paar Gummihandschuhe entnahm. Nachdem sie sie übergestreift hatte, untersuchte sie den Leichnam oberflächlich und notierte in einem kleinen Buch ein paar Bemerkungen. »Können Sie mir kurz helfen?«, fragte sie Morell, der die ganze Zeit neben der Tür gestanden und auf seine Schuhe gestarrt hatte. »Ich möchte mir noch schnell seinen Rücken ansehen. Sie müssen ihn nur kurz anheben.« Capelli reichte ihm das Päckchen mit den Handschuhen.
    Morell stockte der Atem, aber er wollte sich keine Blöße geben.
Darum tat er, worum sie gebeten hatte. Er hielt die Luft an, schloss die Augen und schob seine Hände unter den kalten, harten Körper von Joe Anders. Dabei versuchte er an irgendetwas Schönes zu denken.
    Die Gerichtsmedizinerin hatte sein verkniffenes Gesicht gesehen. »Denken Sie nicht an den Menschen, der das einmal war«, versuchte sie ihm zu helfen. »Sehen Sie es einfach als das, was es ist – ein großes Stück gefrorenes Fleisch. Im Supermarkt gibt es ganze Kühltruhen voll davon.«
    »Ich weiß schon, warum ich Vegetarier bin«, grummelte Morell.
    »In Ordnung! Sie können ihn jetzt wieder runterlassen«, erlöste Capelli den verkrampften Chefinspektor von seinen Qualen. »Was ich jetzt schon mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, ist, dass er an den Stichverletzungen gestorben ist. Ich habe zwölf davon gezählt. Aufgrund des Verwesungsstadiums nehme ich an, dass er mindestens schon eine Woche tot ist. Sehen Sie, das könnten Faulwasserblasen sein«, sie zeigte auf mehrere Stellen an Josefs Körper. »Die bilden sich ungefähr ab dem siebenten Todestag.«
    »Mhm«, nickte Morell, »sieben Tage, das würde mit der Aussage der Witwe übereinstimmen. Sie ist am Samstag letzter Woche mit ein paar Freundinnen nach Spanien gefahren. Die alljährliche Frauenwoche, wie sie es nannte, und ist erst gestern Abend wieder nach Hause
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher