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Die Zahl

Die Zahl

Titel: Die Zahl
Autoren: Daniela Larcher
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blätterte in dem Buch und begann vorzulesen, »›er ist ein gebrochener Mann. Sein toter Traum verpestet seine Seele. Wegen seiner Frau hat er den Beruf Feuerwehrmann aufgegeben, weil ihr die Einsätze zu gefährlich schienen und sie die unregelmäßigen Arbeitszeiten nicht mochte. Er hat seinen Traum geopfert und muss nun bitter dafür bezahlen. Der Job an der Tankstelle macht ihm keine Freude, und tagtäglich trauert er seinem alten Leben hinterher. Ich habe beobachtet, wie unfreundlich er seine Angestellten und seine Kunden behandelt und damit auch deren Dasein verdirbt. T. lässt sich immer mehr gehen und ist mittlerweile zu dick, um wieder in seinen Beruf zurückzukehren. Für ihn gibt es keine Hoffnung mehr. Es wird Zeit, ihn von seinem Leid zu erlösen.‹«
    »Und dann hat sie die Tankstelle angezündet«, sagte Lorentz.
    Morell nickte. »Sie hat gewartet, bis er am Abend alleine war und die Abrechnung gemacht hat, dann die Tür von außen verkeilt und Feuer gelegt.«
    »Benzin und Gas waren ja genügend vorhanden«, meinte Capelli.
    Morell nickte abermals. »Sie hat anscheinend schon damals Nachrichten hinterlassen, die ich aber nicht erkannt habe.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja, sie hat offenbar eine rußige XII an eine Mauer gemalt.« Morell malte mit der Hand ein X und zwei Striche in die Luft.
    »Mach dir deswegen keine Vorwürfe«, sagte Capelli, als sie sah, dass Morell etwas bedrückt wirkte. »Niemand hätte darauf geachtet. Wahrscheinlich hat die Feuerwehr beim Löschen eh das meiste weggespritzt.«
    »Schon möglich«, sagte Morell und blätterte weiter. »Raimund war der Nächste. Iris hatte sich beim Kochen mit heißem Öl verbrannt und musste deswegen ins Krankenhaus. Dort hat sie Raimund getroffen und erst gedacht, er sei Arzt geworden, wie er es immer wollte. Was sich als ein Missverständnis herausgestellt hat. Er hatte sein Studium abgebrochen und arbeitete als Pfleger. Sie hat irgendwie mitbekommen, dass er in einem Haus mit der Nummer Zwölf lebte, und da war der Fall für sie klar.«
    »Himmel«, sagte Lorentz. »Weißt du, wie viele Häuser es mit dieser Nummer gibt?«
    »Ja.« Morell musste lächeln. »Bender hat eine Statistik darüber gemacht.«
    »Wenn es nicht die Hausnummer gewesen wäre, dann wahrscheinlich die Buslinie oder der Geburtstag.«
    »Die Telefonnummer, die Autonummer, das Postfach, der PIN -Code der Bankkarte oder einfach die Lieblingszahl. Wie wir bei Thomas gesehen haben, reichte es für Iris schon aus, das Gemüse am falschen Marktstand zu kaufen. Wenn man eine Zwölf sucht, dann findet man auch sicher eine.«
    »Und dann?«, fragte Lorentz.
    »Dann hat sie Raimunds Müll durchwühlt und eine Packung Anti-Depressiva gefunden.« Morell klappte das Buch zu. »Bei den anderen war es ähnlich.«
    »Erstaunlich, wie sie ihre Opfer durch die Gegend verfrachtet hat. Immerhin waren kräftige Männer und eine korpulente Frau darunter.«
    »Ach richtig, das hatte ich noch vergessen. Da kommt das Betäubungsmittel ins Spiel, das sie auch dir gespritzt hat. Sie hat es bei Raimund mitgehen lassen, der wohl übers Krankenhaus darangekommen war. Steht alles hier drin.« Morell schwenkte das rote Büchlein. »Wenn die Opfer außer Gefecht gesetzt waren, war es mit einer Sackkarre oder einer Rodel nicht wirklich schwer, sie zu transportieren. Man darf nicht vergessen, dass Iris eine relativ große Frau war, die regelmäßig Sport trieb.«
    Die drei schwiegen einen Moment lang und hingen ihren Gedanken nach. Nur die Neonleuchte an der Decke brummte leise vor sich hin.
    »So, dann will ich das Liebespaar nicht weiter stören. Außerdem habe ich selbst gleich ein Date. Mit Valerie.« Morell knuffte Lorentz auf den Oberarm und zwinkerte. »Vielen Dank übrigens dafür.« Er ging zur Tür, drehte sich aber kurz davor noch einmal um. »Was war eigentlich Iris’ Traum?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht genau«, sagte Lorentz. »Ich glaube, sie wollte einfach etwas Besonderes sein, sie wollte Aufmerksamkeit haben, vielleicht auch berühmt werden.«
    »Mei«, sagte Morell, »das hat sie dann ja wohl auch geschafft.«

»Darauf gingen alle zwölf Brüder miteinander aus, ihre Bräute zu
suchen, und endlich fanden sie auch ein Haus mit zwölf Schwestern.
Sie führten sie heim und feierten eine gemeinschaftliche
große Hochzeit und waren froh und glücklich, und es ist leicht möglich,
dass sie noch leben, wenn sie nicht gestorben sind.«
    Josef Haltrich, Sächsische Volksmärchen aus
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