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Die Zaehmung

Titel: Die Zaehmung
Autoren: Jude Deveraux
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überflüssige Belastung für einen Mann.
    Liana erinnerte sich an Lord Stephens dunkelblonde Haare; seine lachenden blauen Augen; seine Geschicklichkeit mit der Laute; die Art, wie er ein aufsässiges Pferd bändigte und wie er ihr aus Platos Werken vorgelesen hatte.
    Er war bezaubernd zu allen gewesen, die mit ihm zu tun hatten, und jeder auf der Burg hatte von ihm geschwärmt. Er hatte ihr nicht nur erzählt, wie reizend sie sei, sondern hatte sie eines Abends im dunklen Korridor um die Taille gefaßt und sie so lange geküßt, bis ihr der Atem ausging. Dann hatte er ihr zugeflüstert: »Ich würde Euch zu gern mitnehmen in mein Bett.«
    Lord Stephen war perfekt. Ohne Makel. Doch etwas warnte sie . . . Vielleicht die Art, wie er die goldenen Gefäße betrachtet hatte, die auf dem Kaminsims im Söller aufgereiht waren; oder das Diamanthalsband, das Helen getragen hatte. Er hatte etwas an sich, dem sie, Liana, mißtraute; aber sie konnte nicht sagen, was das war. Es war ja nicht ganz verkehrt, daß er den Reichtum der Nevilles nicht unbeachtet ließ; aber sie wünschte, sie hätte etwas mehr Begehrlichkeit in seinen Augen für ihre Person und nicht so sehr für ihr Vermögen gesehen.
    »Nun?« meinte Gilbert. »Hast du irgend etwas an dem jungen Stephen auszusetzen?«
    »Eigentlich nichts«, erwiderte Liana. »Er ist . . .«
    »Gut; dann ist die Sache also entschieden. Ich werde es Helen sagen, und sie kann mit der Vorbereitung der
    Hochzeit beginnen. Das wird sie sicherlich mit Freuden vernehmen.«
    Damit ließ Gilbert Liana allein, und sie setzte sich auf ihr Bett, als wären ihre Glieder aus Blei gegossen. Es war entschieden. Sie mußte Lord Stephen Whitington heiraten. Sie mußte den Rest ihres Lebens mit einem Mann verbringen, den sie noch gar nicht kannte und der absolute Macht über sie haben würde. Er konnte sie schlagen, einsperren, sie bettelarm machen, und das mit dem Recht auf seiner Seite.
    »Mylady«, sagte Joice vom Durchgang her, »der Haushofmeister möchte Euch sprechen.«
    Liana sah hoch, blinzelte, ohne ein paar Sekunden lang etwas sehen zu können.
    »Mylady?«
    »Laß mein Pferd satteln«, sagte Liana, und zum Henker mit dem Haushofmeister! dachte sie bei sich. Sie brauchte jetzt einen guten, langen Ritt — ein Pferd mit donnernden Hufen unter sich. Vielleicht würde eine körperliche Anstrengung sie vergessen lassen, was sie nun bald erwartete.
    Rogan, der älteste von der noch lebenden Sippe der Peregrines, hockte auf seinen Fersen und starrte hinüber zu der Burg, die am Horizont aufragte. Seine dunklen Augen waren gedankenverloren — und voller Sorge. Er hätte sich lieber einem Feind in der Schlacht gestellt als dem, was ihn heute erwartete.
    »Es wird dadurch nicht leichter, daß du es aufschiebst«, sagte sein Bruder Severn hinter seinem Rücken. Beide Männer waren groß und breitschultrig wie ihr Vater; doch Rogan hatte einen rötlichen Schimmer in seinen dunklen Haaren vom Vater geerbt, während Severn, der von einer anderen Mutter stammte, weichere Gesichtszüge und goldene Strähnen im Haar besaß. Severn verlor auch rascher die Geduld, und nun regte er sich über die Unbeweglichkeit seines älteren Bruders auf.
    »Sie wird schon nicht so sein wie Jeanne«, sagte Severn, und die zwanzig Ritter hinter ihm erstarrten mitten in der Bewegung und hielten die Luft an. Selbst Severn hörte ein paar Sekunden lang auf zu atmen, weil er fürchtete, zu weit gegangen zu sein.
    Rogan hatte die Worte seines Bruders vernommen; doch er zeigte nicht, welche Gefühle ihn durchströmten, als er ihn Jeannes Namen aussprechen hörte. Er hatte keine Angst vor einem Krieg; er hatte keine Furcht vor attackierenden Pferden. Selbst der Tod jagte ihm keinen Schrecken ein; aber der Gedanke an Heirat machte ihn bang.
    Unter ihm lief ein tiefer Fluß hin, und Rogan konnte die Kälte des Wassers förmlich auf der Haut spüren. »Ich werde wieder hierher zurückkommen«, sagte er zu seinem Bruder.
    »Moment!« rief Severn, die Zügel aufnehmend. »Sollen wir hier herumsitzen und warten, bis du weißt, ob du den Mut aufbringen kannst, einem Mädchen deine Aufwartung zu machen?«
    Rogan ersparte sich eine Antwort; blickte seinen Bruder nur mit harten Augen an.
    Severn gab die Zügel wieder frei. Manchmal hatte Severn das Gefühl, Rogan könne mit diesem Blick steinerne Mauern zum Einsturz bringen. Obwohl Severn von kleinauf mit seinem älteren Bruder zusammengelebt hatte, war ihm doch zuweilen so, als würde er
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