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Die Zaehmung

Titel: Die Zaehmung
Autoren: Jude Deveraux
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schmerzlich für sie. Sie konnte sich niemals erhoffen, daß ein junger Mann sie um einen Brunnen herumjagte. Sie konnte niemals herausfinden, ob ein junger Mann sie um den Brunnen herumjagen wollte. Die Gefolgsleute ihres Vaters würden sie immer mit dem Respekt behandeln, den ihr Stand von ihnen forderte, und sie mit »Mylady« anreden. Ihre Freier würden nichts unternehmen, um ihre
    Hand zu gewinnen, weil sie hinter ihrer Mitgift her waren. Für die war es egal, ob sie einen Buckel und drei Augen hatte; sie würde dennoch blumenreiche Komplimente empfangen und glühende, ihre Schönheit preisende Gedichte. Einmal hatte ihr ein Mann ein Sonett geschickt, das die Schönheit ihrer Füße rühmte. Als ob er die gesehen hätte!«
    »Mylady.«
    Liana blickte auf und sah ihre Magd Joice unter der Tür stehen. Joice war fast so etwas wie eine Freundin für Liana. Sie war nur zehn Jahre älter als Liana, und Lianas Mutter hatte sie als Kinderschwester für ihre Tochter angeheuert, als Liana noch ein Baby war und Joice fast selbst noch ein Kind. Lianas Mutter hatte ihrer Tochter beigebracht, wie sie ein riesiges Vermögen zu verwalten habe, aber wenn Liana von bösen Träumen geplagt wurde, war es Joice gewesen, die sie getröstet hatte. Es war Joice, die während Lianas Kinderkrankheiten an Lianas Bett gesessen hatte, und Joice hatte sie auch über Dinge aufgeklärt, die mit Wirtschaftsführung nichts zu tun hatten. Joice hatte ihr erklärt, wie Babys gemacht wurden und was der Mann, der sie vergewaltigen wollte, bei ihr gesucht hatte.
    »Mylady«, sagte Joice, immer darauf bedacht, ihrem jungen Schützling den ihm gebührenden Respekt zu erweisen. Liana konnte es sich leisten, sich freundschaftlich zu geben; aber Joice blieb sich stets ihres Standes bewußt, vergaß niemals, daß sie schon am nächsten Tag ohne ein Dach über dem Kopf oder ohne eine Mahlzeit auf dem Tisch sein konnte. Sie gab niemals einen Rat, um den sie nicht gebeten wurde. »In der Küche gibt es Streit darüber, ob . . .«
    »Bist du deinem Ehemann zugetan, Joice?«
    Die Magd zögerte mit der Antwort. Jeder in der Burg wußte, was Lady Helen verlangte, und das Gesinde war der einhelligen Meinung, daß das Neville-Vermögen spätestens in sechs Jahren zu nichts zerronnen sein würde, wenn Liana das Haus verließ. »Aye, Mylady, das bin ich.«
    »Hast du ihn dir selbst erwählt oder wurde er für dich ausgesucht?«
    »Ihre Mutter suchte ihn für mich aus; aber ich glaube, sie wollte mir damit nur Gutes tun. Ich wurde also mit einem jungen, gesunden Mann verheiratet und habe ihn inzwischen liebengelernt.«
    Lianas Kopf ruckte in die Höhe. »Tatsächlich?«
    »O ja, Mylady, so etwas passiert oft.« Joice fühlte sich nun auf sicherem Boden. Alle Frauen hatten Angst vor der Ehe. »Wenn man lange Winternächte zusammen verbringt, stellt sich häufig die Liebe ein.«
    Liana wandte sich ab. Wenn man eine gewisse Zeit gemeinsam verbrachte. Wenn der habgierige Ehemann einen nicht wegschickte. Sie blickte sich zu ihrer Magd um. »Bin ich hübsch, Joice? Ich meine, tatsächlich hübsch genug, daß ein Mann an mir Gefallen fände und nicht an all diesen Sachen hier?« Sie bewegte den Arm und wies auf das Bett mit dem seidenen Bettvorhang, auf den Wandteppich an der Nordseite, die Wasserkanne aus Silber und die mit Schnitzwerk versehenen Eichenmöbel.
    »O ja, Mylady«, antwortete Joice zungenfertig. »Ihr seid sehr hübsch — tatsächlich eine Schönheit. Es gäbe keinen Mann von hohem oder geringem Stand, der Euch widerstehen könnte. Eure Haare . . .«
    Liana hob die Hand, um die Frau zum Schweigen zu bringen. »Wir wollen uns um den Streit in der Küche kümmern«, sagte sie, und es gelang ihr nicht, einen schweren Seufzer zu unterdrücken.

Kapitel zwei
    »Sechs Monate!« schrie Helen ihren Gatten an. »Seit sechs Monaten findet deine Tochter nichts als Fehler an Männern! Nicht einer von den Freiern paßte ihr. Ich sage dir — wenn sie nicht binnen eines Monats aus dem Haus ist, werde ich das Kind, das ich von dir unter dem Herzen trage, mit mir nehmen und nie mehr hierher zurückkommen.«
    Gilbert blickte aus dem Fenster auf den Regen und verfluchte den Allmächtigen, daß er ihm zwei Wochen lang schlechtes Wetter geschickt und die Frauen erschaffen hatte. Er sah wieder zu Helen hin, die sich mit Hilfe zweier Mägde auf einem Stuhl niederließ. Nach ihren Klagen zu urteilen, schien noch keine Frau vor ihr ein Kind bekommen zu haben; aber was ihn dennoch
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