Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Zaehmung

Titel: Die Zaehmung
Autoren: Jude Deveraux
Vom Netzwerk:
führen, sich ein Heim schaffen zu können, und sofort zugegriffen. Doch nun wurde der ihr zustehende Platz widerrechtlich von einem schmächtigen, blassen Mädchen eingenommen, das schon vor Jahren verehelicht und aus dem Haus ihres Vaters hätte geschickt werden sollen.
    Helen hatte versucht, Liana zur Vernunft zu bringen, indem sie dieser die Freuden schilderte, die man als Frau erfahre, wenn man einen Ehemann, eigene Kinder und ein eigenes Heim habe.
    Liana hatte sie nur mit ihren großen blauen Augen so unschuldig angesehen wie einer der Engel an der Decke der Hauskapelle und sie gefragt: »Aber wer wird sich dann um die Güter meines Vaters kümmern?«
    Helen hatte mit den Zähnen geknirscht und geantwortet: »Ich bin die Frau deines Vaters. Ich werde tun, was nötig ist.«
    Liana hatte geblinzelt, Helens prächtiges Samtkleid mit der Schleppe im Rücken kritisch gemustert, den tiefen Ausschnitt vorn und im Rücken, der Helens hübsche Schultern zur allgemeinen Betrachtung freigab; die kunstvoll ausgepolsterte, reichverzierte Frisur und belustigt gemeint: »In diesem Aufzug bekämst du einen Sonnenbrand.«
    Helen hatte sich mit den Worten verteidigt: »Ich würde mich schon so anziehen, daß ich auf einem Pferd reiten kann. Ich bin sicher, daß ich die Kunst des Reitens ebensogut beherrsche wie du. Liana, es ist nicht schicklich, daß du im Haus deines Vaters bleibst. Du bist jetzt fast zwanzig. Du solltest dein eigenes Heim haben, deinen eigenen . . .«
    »Ja, ja«, hatte Liana sie da unterbrochen. »Ich bin sicher, daß du recht hast; aber ich muß jetzt gehen. Heute nacht hat es in einem Dorf gebrannt, und ich muß mich um die Obdachlosen kümmern.«
    Helen hatte ihr mit rotem Gesicht und düsterer Laune nachgeblickt. Was für einen Nutzen hatte sie davon, mit einem der reichsten Männer Englands verheiratet zu sein und von einem Schloß ins andere zu ziehen, deren prächtige Ausstattung so kostbar war, wie sie das niemals für möglich gehalten hätte? Dicke farbenfrohe Teppiche hingen an allen Wänden, alle Decken waren mit biblischen Szenen bemalt; jedes Bett, jeder Tisch und Stuhl war mit einem bestickten Hich bezogen. Liana hielt sich ein Zim-mer voller Frauen, die von morgens bis abends nichts anderes taten, als sich über ihren Stickrahmen zu beugen und ihre Nadeln zu bewegen. Das Essen war himmlisch, da Liana gute Köche mit ausgezeichnetem Lohn und pelzgesäumten Gewändern für deren Frauen anlockte. Die Latrinen, der Burggraben, die Ställe, die Burghöfe waren stets sauber, da Liana Sauberkeit überaus schätzte.
    Liana, Liana, Liana, dachte Helen und drückte die Fäuste gegen die Schläfen. Die Dienstboten taten immer das, was Lady Liana von ihnen wünschte, was Lady Liana angeordnet oder Gilberts erste Frau eingerichtet hatte. Helen hätte ebensogut gar nicht existieren können, so wenig Einfluß hatte sie auf die Leitung der Angelegenheiten von Nevilles Besitz.
    Als schließlich sogar die beiden kleinen Töchter von Helen damit begannen, Liana zu zitieren, erreichte Helens Wut den Siedepunkt. Die kleine Elizabeth hatte ein eigenes Pony haben wollen, und Helen hatte gelächelt und gesagt, das wäre kein Problem. Da hatte Elizabeth ihre Mutter zweifelnd angesehen und war mit den Worten: »Ich werde Liana darum bitten«, aus dem Zimmer gelaufen.
    Dieser Vorfall war der Anlaß gewesen, daß Helen ihrem Mann nun ein Ultimatum stellte. »Ich gelte weniger als nichts in diesem Haus«, sagte sie zu Gilbert. Sie machte gar nicht erst den Versuch, im leisen Ton mit ihrem Gatten zu reden, obwohl sie sich durchaus bewußt war, von lauschenden Dienern umgeben zu sein. Das waren Lianas Diener, gut ausgebildete, gehorsame Männer und Frauen, die sowohl die Großzügigkeit ihrer jungen Herrin wie deren Zorn kannten, und die ihr Leben für sie hingeben würden, falls Liana das verlangte.
    »Entweder deine Tochter oder ich«, wiederholte Helen.
    Gilbert blickte von dem Tablett mit Fleischpasteten hoch, die man in die Form der Zwölf Apostel gebracht hatte. Er wählte daraus den heiligen Paulus und schob diesen in den Mund. »Und was soll ich mit ihr anstellen?« fragte er träge. Es gab nicht viel auf Erden, was Gilbert Neville aufregen konnte. Bequemlichkeit, ein guter Falke, ein guter Jagdhund, gutes Essen und Frieden waren alles, wonach er im Leben fragte. Er wußte nicht, was seine erste Frau unternommen hatte, um das Vermögen, das ihm sein Vater hinterlassen, und die gewaltige Mitgift, die sie in die Ehe
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher