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Die Wunderheilerin

Die Wunderheilerin

Titel: Die Wunderheilerin
Autoren: Ines Thorn
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der zu Gast kommt. Nur mein Bruder und Johann von Schleußig.»
    «Wie soll ich wissen, wer Euch was bedeutet?», fragte die Magd trotzig. Sie stellte die Silberteller zurück in den Schrank.
    «Du wirst es lernen müssen. Am besten so schnell wie möglich.»
    Mit diesen Worten verließ Eva hoch erhobenen Hauptes das Zimmer.
    Im Gang prallte sie fast mit Priska zusammen, die aus der Werkstatt gekommen war. Ein Silberspan haftete auf ihrem Haar. Sie trug den Geruch nach Metall in den Kleidern.
    «Heute Abend haben wir etwas zu bereden, Priska», sagte Eva ernst. «Das Abendmahl nehmen wir in der Wohnstube ein. Sag deiner Schwester Bescheid.»
    Priska senkte den Kopf und nickte, dann drückte sie sich in ihre Kammer, warf sich auf das Bett und lauschte den Schritten der Lehrmeisterin.
    Mit ihr sprechen, das war es, was sie ersehnte und zugleichverwünschte. Sie, Priska, war eine Sünderin vor dem Herrn. Sie hatte es geahnt, seit der Fastnacht, als sie sich von Eva hatte küssen lassen. Heute Morgen nun hatte sie aus dem Munde des Priesters gehört, wie sündig sie war. Adam sollte auf dem Scheiterhaufen brennen für einen Kuss wie den ihren.
    Und doch sehnte sie eine Wiederholung herbei. Sie konnte den Kuss nicht vergessen. Es gab kein Zurück mehr. Sie konnte nicht mehr das Lehrmädchen sein, sich nicht mehr wie eines verhalten. «Ja, Herrin. Nein, Herrin. Sofort, Herrin.» Stattdessen wollte sie nur noch geküsst werden. Dabei wusste sie, dass es keine weiteren Küsse geben würde. Eva hatte das Leben feiern wollen, nachdem sie dem Tod entkommen war, nichts weiter. Priska war da gewesen. Jeder andere, jede andere wäre genauso recht gewesen. Die Silberschmiedin hatte nicht Priska geküsst, sondern das Leben.
    Vom Leben verstand Priska nichts. Sie kannte nur den Tod. Von der Liebe wusste sie nichts. Aber der Kuss hatte sie gewärmt. Zum zweiten Mal in ihrem Leben hatte die Meisterin sie in ein neues Leben gestoßen. Ohne zu fragen. Zuerst hat sie mich zum Silberschmiedelehrling gemacht, dachte Priska, und nun noch zur Geküssten. Sie musste an Regina denken, ihre lebensgierige Schwester. Einmal hatte Regina ihr erzählt, wie ein Kuss ihr den Schoß zum Brennen gebracht hatte. Wie Feuer sei das Blut durch die Adern geflossen und habe sie ganz feucht gemacht zwischen den Beinen.
    Evas Kuss war nicht wie Feuer gewesen, hatte nichts feucht gemacht. Nur warm und weich war er gewesen. Wie der erste Sonnenstrahl im Frühling.
    Zweifelnd blickte Priska in die polierte Metallplatte, die als Spiegel diente. Sie sah eine schmale junge Frau mit grauen Augen, einer geraden Nase und Lippen, die zwar denen von Regina ähnelten, ihnen aber doch nicht glichen. Reginas Mund war gierig. Manchmal, wenn sie die rote Paste auftrug, sah er aus wie eine Wunde. Oder wie ein Tiermaul, das alles verschlang, was in seine Nähe kam. Priskas Mund dagegen war eine Öffnung, durch die Speisen von außen nach innen und die Worte von innen nach außen gelangten. Ein Werkzeug, mehr nicht.
    Priska hörte, wie der Messingklopfer gegen das Holz der Eingangstür geschlagen wurde. Sie seufzte und stand auf. Die Gäste waren gekommen; gleich würde das Mahl aufgetragen werden.
    Sie strich ihr Kleid glatt, fuhr mit der Bürste über ihr helles Haar und ging zur Kammer ihrer Schwester.
    Ohne anzuklopfen, trat sie ein. Regina saß ebenfalls vor ihrer polierten Metallplatte, doch aus anderen Gründen als Priska. Sie war dabei, sich zu schmücken. Die rote Paste hatte sie bereits aufgetragen, nun war sie dabei, die Augenbrauen mit schwarzem Ruß noch zu betonen.
    «Was gibt es?», fragte sie, ungehalten über die Störung.
    «Wir werden heute Abend gemeinsam mit Adam und dem Priester im Wohnzimmer speisen, soll ich ausrichten.»
    «Warum das? Wir essen doch immer in der Küche!»
    Regina fuhr herum. Priska verzog den Mund und sah die Schwester tadelnd an. Sie war nicht nur über alle Maßen angemalt, auch ihr Mieder war nur nachlässig geschlossen. Die Brüste waren hochgedrückt und lagen im Stoff wie Äpfel in der Auslage.
    «Wie du aussiehst!», sagte Priska.
    «Na und? Den Männern gefällt es, wie ich aussehe. Zu dir hat das bestimmt noch keiner gesagt.»
    «Wie fühlt sich ein Kuss an?»
    «Was? Was sagst du da?»
    «Wie fühlt sich ein Kuss an?»
    «Wozu willst du das wissen? Hast du dich etwa verliebt?»
    Regina lachte albern, aber Priska verzog keine Miene.
    «Wie fühlt er sich an?»
    «Hmm, er schmeckt wie Walderdbeeren. Im Unterleib beginnt es zu
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