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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin
Autoren: Heidi Rehn
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Cousine kostete das in vollen Zügen aus. »So viel Undank hat deine arme Mutter wirklich nicht verdient. Glaub mir, eins weiß sie genau: Wenn ihr jetzt auch dieser Sohn im Kindbett verreckt, trägst du allein die Schuld daran.«
    »Du bist wohl die Letzte, die das entscheiden kann. Noch ist gar nicht klar, was ihm fehlt und ob man überhaupt etwas für ihn tun kann.«
    »Ob man
jetzt
noch was für ihn tun kann, solltest du eher sagen.« Elsbeth stemmte die Hände in die Hüften. »So wie es aussieht, hätte man ihm in den ersten Stunden nämlich noch ganz sicher helfen können. Dein Meister Johann und die alte Roswitha, auf deren Hebammenkünste du so gern schwörst, haben das beide sofort gesagt.«
    Magdalena schnappte nach Luft. Am liebsten hätte sie sich auf die Cousine gestürzt und ihr die Augen ausgekratzt. Insgeheim musste sie ihr jedoch recht geben. Schon den ganzen Weg über hatte sie sich mit ähnlichen Vorwürfen gequält: Wäre sie letzte Nacht bei Babette geblieben, statt in Erics Arme zu sinken, hätte sie Fritzchen wohl vor Schlimmem bewahren können. Sämtliche Mahnungen zum Beispiel wegen der vielen Federkissen, die Babette auf den Kleinen türmte, hatte sie als bloße Eifersucht ihrer Tochter gedeutet. Kein Wunder also, dass Magdalena nach einem neuerlichen Streit verärgert weggestürmt war.
    Bei all der Lust und Wonne, die sie bei Eric gefunden hatte, war ihr die Sorge um den Bruder völlig entfallen. Hätte sie nicht eine Nacht darauf verzichten können?, fragte sie sich bangen Herzens. Noch dazu, da sie sich dann den Streit mit Eric über ihrer beider Zukunft erspart hätte. Hätte, immerzu dieses quälende »hätte«– es half nichts: Für Vorwürfe war es zu spät. Sie musste zu ihrem Bruder. Eine vage Hoffnung, ihn zu retten, gab es vielleicht noch.
    3
    Als Magdalena das Schlafgemach betrat, empfing sie unheilverkündende Stille. Die dicken, roten Vorhänge vor den beiden Fenstern waren fest zugezogen und verwandelten das einfallende Sonnenlicht in ein geheimnisvolles Glühen. Gespenstisch zuckte der Lichtschein flackernder Kerzen über die Silhouetten der Anwesenden. Klopfenden Herzens trat Magdalena näher. Auf ihr Räuspern erfolgte keine Reaktion. Sacht berührte sie Roswitha, deren halbkahler Schädel auf dem krummen Buckel sich deutlich von den anderen Umrissen abhob, an der Schulter. Die alte Hebamme fuhr zusammen, bevor sie sich umwandte. Dabei schwankte ihr gedrungener Körper beträchtlich. Das Schnaufen verriet, dass ihr selbst diese kleine Anstrengung Mühe bereitete. Trotz dieser Schwerfälligkeit entfaltete die langgediente Wehmutter im Notfall eine Wendigkeit, von der manch Jüngere nur träumen konnte. Bittend sah Magdalena auf sie hinunter. Roswitha war der einzige erwachsene Mensch, den sie kannte, der ihr nur bis zur Schulter reichte. Der Blick, den sie ihr aus den wässrigen, trüben Augen zuwarf, war nicht eben freundlich, doch das musste nichts heißen. Selten sah Roswitha jemanden sonderlich erfreut oder gar liebenswürdig an. Ihre Zuneigung pflegte sie auf andere Art zu zeigen. Außerdem erschwerten die vielen Falten, die Mimik des runden Mondgesichts zu erkennen.
    »Was?« Das heisere Krächzen aus dem kleinen Mund mit den überraschend guten Zähnen zu hören beruhigte Magdalena. Es klang nicht anders als sonst. Schnaubend machte die Hebamme Platz, damit sie an das Bett treten konnte. Nach einem flüchtigen Blick in die Runde erkannte Magdalena neben der gedrungenen Gestalt ihres Vaters die beeindruckende Figur Meister Johanns sowie überraschenderweise auch den massig wirkenden Hagen Seume, seines Zeichens Regimentsprofos und zweiter Taufpate ihres Bruders. Seiner Position entsprechend war Seume auch jetzt feudal gekleidet. Golden flimmerten die Tressen am Rock, bunte Litzen zierten das helle Wams. Ein so hoher Besuch am Krankenbett war kein gutes Zeichen, wenn auch die Mienen der Männer abweisend, aber nicht sonderlich traurig schienen. Vorsichtig linste sie zu dem eigentlichen Patienten, von dem zunächst kaum mehr als ein dunkelbehaartes Köpfchen zu erkennen war. Friedlich schlummerte er in den Armen der Mutter, und die lag hellwach in der prall aufgebauschten Spitzenbettwäsche der vor wenigen Tagen davongejagten Kaufmannsgattin. Babettes kastanienbraunes Haar fiel locker auf die Schultern herab. Ein blütenweißes Leinennachthemd, sicherlich ebenfalls aus dem Bestand der Geplünderten, hob sich umso heller davon ab. Ihre Wangen glühten, die Stirn
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