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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin
Autoren: Heidi Rehn
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Haupt. Magdalena fühlte sich bemüßigt, ihn zu beruhigen: »Macht Euch keine Sorgen. Bei Meister Johann sind Eure Vorräte an Kräutern und Pigmenten wirklich bestens aufgehoben. Hat er Euch nicht schon vorgeführt, wie viele verschiedene Wundpflaster er herzustellen weiß? Soweit ich mich erinnere, wart Ihr ganz begeistert, weil Ihr sie noch nicht alle kanntet.«
    »Ja, ja«, murmelte der Weißhaarige, schien aber nicht restlos überzeugt. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und fügte hinzu: »Auch mit den fertigen Tinkturen und Rezepturen weiß er etwas anzufangen. Außerdem reißt er die Gerätschaften und Waagen, all die Tiegel, marmornen Mörser und die sündhaft teuren Destilliergefäße ganz gewiss nicht einfach an sich, um sie beim nächsten Marketender schnell zu Geld zu machen. Das wird er alles für seine Feldscherei verwenden und auch uns Gehilfen stets zu einem sorgfältigen Umgang damit anhalten. Verlasst Euch darauf.«
    »Derzeit sieht der sorgfältige Umgang wohl eher so aus, dass er sich mit meinen Apparaturen Schnaps brennen wird, den er abends mit seinen Kumpanen versäuft. Meine Bestände an Aquavit und die Kisten mit dem Konfekt hat er sich jedenfalls schon einverleibt, um in seiner Kartenrunde Eindruck zu schinden. Ach, ihr Trossleute seid doch alle gleich. Wie konnte ich nur ernsthaft glauben, Meister Johann wäre eine Ausnahme?«
    Noch bevor Magdalena einen weiteren Versuch zur Ehrenrettung ihres Lehrmeisters unternehmen konnte, wurden sie unterbrochen.
    »Magdalena, endlich!« Unwirsch schob sich Rupprecht aus dem Laboratorium nach vorn in die Offizin. Die wendige, sehr kleine Gestalt, die Magdalena kaum überragte, ließ ihn neben dem weißhaarigen Apotheker wie einen unbedarften Lehrjungen wirken. Sie wusste, wie sehr er unter seiner wenig eindrucksvollen Erscheinung litt. Wie sie zählte er bereits achtzehn Jahre und arbeitete ebenfalls als ausgelernter Wundarztgehilfe bei Meister Johann. Da man ihm das allerdings nicht ansah und ihn deshalb nicht sehr respektvoll behandelte, war er oft übel gelaunt. Auch jetzt schien er nicht gerade gut aufgelegt. »Dein Vater sucht dich. Komm mit!«
    Als er sie zur Tür drängte, stieß er gegen einen Korb mit Lavendel, der vor ihm auf dem Tresen stand. Im letzten Moment konnte Magdalena ihn auffangen und verhindern, dass sich die getrockneten Rispen über den Boden ergossen. Rupprecht quittierte das nicht einmal mit einem Lächeln. Seine schwarzen Locken wippten, als er ruckartig den Kopf hob und sie in seine finsteren, nahezu schwarzen Augen schauen ließ. Trotz seines Ärgers schimmerte Sorge darin. Er streckte die Hand mit den dunkelbehaarten Fingern nach ihr aus, hielt aber auf halber Höhe inne.
    »Was ist denn los?« Ungeduldig sah sie ihn an.
    »Mach schnell«, sagte er leise.
    »Ist was mit meiner Mutter oder mit …?«
Fritzchen,
hatte sie sagen wollen, wagte es aber nicht, den Namen ihres wenige Wochen alten Bruders auszusprechen: Es durfte einfach nicht sein, dass schon wieder ein Kind ihrer Eltern so kurz nach der Geburt starb! Ihr schwindelte. Dabei hatte es so gut ausgesehen. Eine leichte, rasche Geburt war es gewesen während des Marsches von Überlingen in den Breisgau, ohne alle Schwierigkeiten, fast, als wäre es nichts, so ein Bündel Mensch lebend aus sich herauszupressen. Selbst Roswitha, die alte Hebamme und Vertraute Meister Johanns, hatte das hinterher gemeint.
    Rupprecht nickte nur, während er sie aus der Offizin zog. Auch im Freien gewährte er ihr keinen Moment, sich zu fassen. Rücksichtslos eilte er ihr durch das Gewimmel unweit des Münsters voraus. Die Angst legte sich wie ein schwerer Umhang aus Blei auf ihre Schultern. Jeder Schritt schien ihr wie ein gewaltiger Kraftakt, trotzdem hatte sie rasch zu ihm aufgeschlossen. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was war nur mit dem Kleinen? Hatte die Mutter ihm vor lauter Liebe und Fürsorge Schlechtes getan? Ihn zu fest gedrückt, zu warm in Kissen gepackt, zu eng gewickelt? Nur zu gut erinnerte sie sich an sein verzweifeltes Keuchen, weil ihm beim Trinken an Babettes prallem Busen die Luft weggeblieben war. Wie oft hatte sie in den letzten Tagen deswegen mit der Mutter gestritten! All ihre Vorwürfe und Ratschläge hatte Babette jedoch unwirsch zurückgewiesen. Mit ihren vierzig Jahren war sie schließlich keine unbedarfte Wöchnerin. Mehr als ein Dutzend Geburten hatte sie hinter sich. Lediglich Magdalena, ihr erstes und damals noch uneheliches Kind, hatte
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