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Die Wundärztin

Die Wundärztin

Titel: Die Wundärztin
Autoren: Heidi Rehn
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verwirklichen konnten! Als sie um die nächste Hausecke bog, stolperte sie über ein Ferkel, dem eine Frau hinterherjagte. Sicher hatte sie das Tier gerade günstig erstanden, um es für den nächsten Winter zu mästen. Seit dem letzten Winterlager im badischen Durlach war Freiburg die erste Stadt, in der sich das kurfürstlich bayerische Heer unter Mercy nebst zugehörigem Tross für längere Zeit aufhielt. Jeder nutzte die Verschnaufpause, sich mit Vorräten einzudecken und frisch Erbeutetes bei den Händlern und Kaufleuten in bare Münze umzuwandeln.
    Die Belagerung der Stadt hatte erstaunlich wenig Kraft gekostet. Nach der Kapitulation hatte man die Franzosen wohlgemut mit klingendem Spiel und fliehenden Fahnen abziehen lassen und sich anschließend umso gieriger an die Plünderung gemacht. Trotz der sechsjährigen französischen Besatzung hatten die Freiburger einiges an Hausrat und Vorräten gehortet, was sich einzuverleiben lohnte. Entsprechend vielfältig war das Angebot, das sich nun auf dem Münsterplatz und überall in den Straßen und Gassen der Stadt fand. Nicht nur Marketender hatten ihre Stände aufgeschlagen. So manches Trossweib und sogar Söldner boten ihre frisch erworbenen Schätze feil.
    Laut pries einer mehrere dicke Stapel feinsten Papiers an, die er wohl aus einer Druckerei entwendet hatte. Ein anderer versuchte, kupferne Kochtöpfe und Pfannen zu Geld zu machen, blitzblank gewienert, kaum verbeult oder von Ruß geschwärzt. Neben ihm wartete eine Frau in Magdalenas Alter mit allerlei Schuhen und Schusterflickzeug auf, was sogleich eine Handvoll Interessenten anzog. Mit Kennermiene prüften sie die Qualität der Sohlen und Leisten. Eine andere versuchte es mit einem saftigen Schinken und einem halben Dutzend Würsten, die sie sich um den Hals geschlungen hatte. Der Duft nach frisch Geräuchertem war zwar äußerst verführerisch, der Preis aber, den sie dafür verlangte, verdarb nicht nur Magdalena gleich wieder den Appetit. Noch war die Frau guter Dinge, dass sie dennoch bald auf ihre Kosten kommen würde.
    An einer Kiste mit Büchern blieb Magdalena stehen. Vielleicht fand sie darin ein Werk über Heilkunde, das sie noch nicht kannte. Der Händler bemerkte ihr Interesse und verfolgte argwöhnisch, wie sie sich über die Buchrücken beugte und die Titel las. Dabei fiel sein Blick in den Ausschnitt ihres Mieders. Rasch legte sie die Hand darauf, damit er den Bernstein nicht entdeckte.
    »Suchst du was Bestimmtes?« Offensichtlich hatte er den Stein unter dem Mieder nicht entdeckt, sondern eine andere Art der Bezahlung im Sinn. Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen und rückte dicht an sie heran. Sein Atem roch faulig, und aufs Waschen verzichtete er wohl gern zugunsten eines Trinkgelages.
    »Hab nichts gefunden. Danke.« Rasch drehte sie sich um und mischte sich abermals in das Gewühl. Gerade trieb ein Junge eine Handvoll magerer Ziegen vorbei, die aufgeregt meckerten, als Magdalena sie ungeduldig beiseiteschob. Kurz darauf stieß sie gegen eine Frau, die an einer Hauswand kauerte und ein Huhn rupfte. Ein kleines Mädchen zu ihren Füßen versuchte, die Federn in ein Leinensäckchen einzusammeln. Als Magdalena ihm ausweichen wollte, schlitterte sie über das glitschige Straßenpflaster. Der heftige Gewitterschauer vom Tag zuvor hatte selbst mitten in der Stadt seine Spuren hinterlassen. Das Pflaster glänzte im Schatten noch immer nass, sofern es zwischen dem angeschwemmten Unrat überhaupt zu erahnen war. Die Stadtbäche, die Freiburg durchzogen, quollen über von schlammigem Wasser. Wo der Boden nicht gepflastert war, standen selbst jetzt noch tiefe Pfützen. Der sonst festgestampfte Lehm war vielerorts aufgeweicht. Jenseits des Walls wälzte die Dreisam endlose braune, schäumende Fluten vorbei.
    Ungern malte Magdalena sich aus, wie es in den windigen Unterständen und Planwagen des Lagers außerhalb der Stadttore an diesem Vormittag zugehen mochte. Inzwischen brannte die Sonne zwar wieder vom Himmel und trocknete, was der Regen gestern durchweicht hatte. Dafür aber schürte die Hitze den Durst. Wohl dem, der ein schattiges, kühles Plätzchen fand und Gelegenheit hatte, seinen Durst zu stillen! Sauberes Trinkwasser würde schnell knapp werden. Schon sah sie vor sich, wie viele Durchfallpatienten demnächst bei ihr um Hilfe anstehen würden. Über diesen Gedanken wuchs die Vorfreude auf den Brunnen im Hof der Apotheke, in der Meister Johann derzeit logierte. Dort würde sie sich
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