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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman
Autoren: Aufbau
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einen …
    Der Arzt, den sie auf der Harley Street besuchten, gab ihnen eine spezielle Gummiunterlage. Diese Unterlage habe sich schon in Amerika bewährt, sagte er. Die Matte war mit Sensoren und einem langen Kabel ausgestattet, das man in die Steckdose stecken musste. Beim ersten Anzeichen von Nässe verabreichte die Unterlage elektrische Schläge –
nichts Ernstes,
versicherte der Arzt Tommys Mutter,
genug eben, um den Jungen aufzuwecken
– und löste eine Alarmglocke aus. Tommy hatte keinen Schimmer, wie viel das Ganze kostete, aber dem Gesichtsausdruck seiner Mutter nach zu urteilen, als sie die Rechnung sah, musste es viel gewesen sein.
    In den frühen Stunden der ersten Nacht kam es zum Test. Es gab einen blauen Blitz und einen lauten Knall, und Tommy wurde aus dem Bett geschleudert. Er landete auf dem Fußboden mit Verbrennungen am Po, die erst nach zwei Wochen verheilt waren.
    In den letzten Monaten, da der Tag näher rückte, an dem er in die tapfere und männliche Welt von Ashlawn Preparatory abreisen würde, wurde die Jagd nach Heilung zu einem Rausch. Und je mehr sie darüber sprachen, desto weniger Kontrolle schien er über seine Blase zu haben.
    Den ganzen Sommer über hatte er eine kleine gelbe Pille schlucken müssen. Angeblich sollte er dadurch nur in einen leichten Schlaf fallen und aufwachen, wenn er musste. Er wachte nicht auf, und tagsüber fühlte er sich, als sei er ein anderer, wie eine durchgeknallte Comicfigur. Er hatte noch nie so viel Energie gehabt, konnte nicht stillsitzen, nicht einmal eine |26| Minute lang, und war so laut und hektisch, dass seine Mutter es nicht länger ausgehalten und die letzten Pillen in der Toilette hinuntergespült hatte.
    Der neueste Versuch, das Bettnässen zu stoppen, sah so aus: Das Fußende seines Bettes wurde auf zwei Holzklötze gestellt. Seine Mutter hatte davon in einer Zeitschrift gelesen. Auf diese Weise sollte der Druck auf die Blase
durch Ausnutzung der Erdanziehungskraft
verringert werden, erklärte sie. Tommy schlief also in einem Winkel von etwa dreißig Grad zum Boden. Bisher hatte er jede Nacht ins Bett gemacht und war am nächsten Morgen gegen die Wand gedrückt und mit einem steifen Nacken aufgewacht.
    Als sein Vater nach Hause kam, lag Tommy im Bett und versuchte die Gedanken ans Internat durch die Lektüre von
Custer’s Last Stand
zu verscheuchen. Custer war einer von Tommys Helden aus dem wirklichen Leben. Es gab ein ganzseitiges Foto von ihm in seinem Wildlederanzug, umzingelt von blutrünstigen Wilden, ein rauchender Colt in der Hand, sein langes blondes Haar flatternd im Wind.
    Arthur Bedford war Buchhalter und arbeitete für eine Firma, die Teile für Autos in Birmingham herstellte. Tommy wusste nicht genau, was alles damit zusammenhing, außer dass er sich um Geld kümmern und gut in Mathematik sein musste, mit Abstand das schrecklichste Fach der Welt. Allein das Wort
Division
ließ Tommy erschauern. So verwunderte es auch nicht, dass sein Vater nach der Arbeit erschöpft und elend aussah. Wenn er es genau bedachte, sah sein Vater fast immer so aus. Das hatte wohl auch damit zu tun, dass er von Tommys Mutter ohne Unterlass kritisiert oder angekeift wurde. Egal, was der arme Mann tat, es schien sie zu irritieren oder zu stören.
    Sein Vater sah eigentlich nur glücklich aus, wenn er im Treibhaus seine Tomaten pflegte oder in der kleinen Werkstatt im hinteren Teil der Garage saß, wo er stundenlang mit einer Lupe |27| und einer kleinen Kopflampe winzige Porzellanscherben zusammenfügte. Menschen schickten ihm ihre zerbrochenen Vasen und Teller zur Reparatur. Er war wirklich gut. Wenn er etwas zusammengeklebt hatte, konnte man nicht einmal mehr erahnen, dass es je kaputt gewesen war.
    Das Spannendste, wenn auch etwas mysteriös, aber war – sein Vater gehörte einem Club an, der so geheim war, dass man ihn nichts darüber fragen durfte, geschweige denn erwähnen, dass man davon wusste. Die Leute nannten sich Freimaurer und hielten einmal im Monat donnerstagabends an einem Ort namens
The Lodge
Geheimtreffen ab. Sie hatten einen speziellen Handschlag, an dem sie sofort erkennen konnten, ob jemand ein echtes Mitglied war oder ein Spion, der sich einzuschleichen versuchte. Tommys Vater bewahrte all seine geheimen Freimaurerutensilien in einem schmalen braunen Lederkoffer auf dem Kleiderschrank in seinem Schlafzimmer auf. Einmal hatte Tommy einen Blick hineingeworfen und erwartet, eine tödliche Waffe zu entdecken, so etwas wie eine
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