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Die Wilden Küken - Auf der Alm (German Edition)

Die Wilden Küken - Auf der Alm (German Edition)

Titel: Die Wilden Küken - Auf der Alm (German Edition)
Autoren: Thomas Schmid
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überall ist Wasser!«
    Lilli kroch rückwärts und zerrte ihr Seil aus dem Rucksack. »Worauf wartest du, Ole?«, drängte sie ihn. »Dein Seil brauchen wir auch!«
    Viel zu langsam holte Ole es hervor.
    »Los!« Lilli stieß ihn an. »Du musst mich abseilen!«
    Oles tiefblaue Augen wurden fast schwarz. »Ich kann nicht!«
    Lilli glaubte, sich verhört zu haben. »Du sicherst mich hier oben und ich steig zu Enya!« Sie dröselte das Seil auf und schlüpfte in den Brustgurt. »Ole, wach auf! Was hast du denn?«
    »Ich hab Angst …«, sagte er tonlos.
    Verwirrt starrte Lilli in sein bleiches Gesicht. Unwillkürlich musste sie daran denken, wie er sich geweigert hatte, sie bei Vronis Kletterübung zu sichern.
    Lilli riss ihm sein Seil aus der Hand. »Erst müssen wir dich sichern!« Hastig knotete sie das eine Ende an einen nahen Baumstamm. »Dann musst du mich abseilen. Denk daran, was Vroni uns beigebracht hat!«
    »Als Little und ich noch klein waren …« Ole atmete schwer. »Ich hab ihn fallen lassen.«
    »Aber ihm ist doch nichts passiert!« Lilli wand das lose Seilende wie ein Geschirr um Oles Körper. Unterschiedliche Gedanken schossen durch ihr Gehirn. Wie Ole Erik bei der Theaterprobe damals hatte fallen lassen, wie Ole ihr von seinem Vater erzählt hatte, von seiner Angst, zu werden wie er und eines Tages seine Familie im Stich zu lassen. Ein leichter Schwindel erfasste sie.
    »Lilli!«, rief Enya schwach. »Mir ist so kalt in dem eisigen Schlamm!«
    Sofort fasste Lilli sich wieder und fixierte Oles Blick. »Du musst es tun!«
    »Und wenn ich dich fallen lasse?« Ole griff nach Lillis Hand, seine Fingernägel gruben sich in ihre Haut. »Seil du mich ab!«
    »Du bist zu schwer«, sagte Lilli ganz ruhig. »Und ich hab nicht die Kraft, Enya oder dich hochzuziehen.« Sie berührte seine Schultern. »Ich vertrau dir, du lässt mich nicht fallen! Ich hab keine Angst. Hörst du?«
    Oles Lippen zitterten.
    »Was ist denn mit euch da oben?«, drang Enyas Stimme aus der Tiefe.
    Lilli nahm Oles Gesicht in beide Hände. »Du seilst mich jetzt ab!« Sie sah ihm tief in die Augen und wiederholte ihre Worte. »Du seilst mich jetzt ab!« Und leise, fast tonlos fügte sie hinzu: »Ich weiß, dass du mich hältst.«
    Sie kontrollierte ihren Brustgurt, gab Ole das Seilende in die Hand und kroch, ohne den Blick von ihm zu lösen, rückwärts auf den Abgrund zu.
    Ole schlang sich Lillis Seil um die Schultern und wickelte es um sein Handgelenk. Er prüfte den Halt seines eigenen Seils, mit dem er an den Baumstamm gebunden war, und stemmte die Füße in den Waldboden.
    Ole ließ immer nur so viel nach, wie Lilli brauchte. Sie hielt sich an Wurzeln fest, tastete mit der Fußspitze nach Vorsprüngen und krallte ihre Finger in Ritzen. Das erste Stück konnte sie klettern, aber die letzten Meter musste sie sich auf das Seil verlassen. Sie ließ den Felsgrat los, an den sie sich eben noch geklammert hatte, und hing frei in der Luft. Lilli umschloss das Seil mit den Händen und spürte Oles Kraft. Damit sie sich nicht um sich selbst drehte, berührte sie mit den ausgestreckten Fußspitzen immer wieder die Steilwand.
    Langsam und sicher seilte Ole sie ab.
    Lilli löste das Seil vom Brustgurt. Oben an der Steilwand erschien Oles Kopf. Lilli nickte ihm zu.
    »Ich erfrier gleich«, jammerte Enya. Ihr Gesicht konnte Lilli unter all dem Wurzelgestrüpp und Erdreich, das Enya bei ihrem Sturz mit sich in die Tiefe gerissen haben musste, nicht erkennen, aber ihre mit Schlamm verschmierten schwarzen Haare. Enya war nicht weit entfernt, doch nur schwer zu erreichen. Lilli zwängte sich durch einen Verhau aus Totholz, kletterte über einen geknickten Baumstamm und sackte so tief ein, dass sie fast hingefallen wäre. Eisiges Wasser drang in ihren Schuh. Mit verzweifelter Kraft riss sie das Gestrüpp beiseite. Unter dem Holzbruch steckte Enya bis zur Brust im Schlamm. Lilli grub und zerrte. Endlich bekam Enya einen Fuß frei und konnte mithelfen. Lilli fasste sie unter den Achseln, Enya stemmte den freien Fuß gegen den querliegenden Stamm und zog das zweite Bein darunter hervor. Keuchend hielten Lilli und Enya einander fest, dann rappelten sie sich auf und kehrten zu Lillis Seil zurück. Rasch half Lilli der bibbernden Enya in den Brustgurt und gab Ole ein Zeichen. Das Seil straffte sich. Lilli hob Enya ein Stück hoch und schob. Wieder spannte sich das Seil und schon baumelte Enya in der Luft. Ruckweise holte Ole das Seil ein. Lilli konnte ihn
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