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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman
Autoren: Heyne
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Augen und starrte sie aus dem Wasser heraus ernst an, während die Hände einer Frau auf seinen Schultern ruhten. Schützend oder stolz? Sie wusste es nicht. Sein kantiges, offenes Gesicht und der stämmige Körperbau ließen keinen Zweifel daran, von welcher Abstammung er war, auch wenn um seinen Hals kein Gold geglitzert hätte.
    Zeig es mir .
    Diesmal schaute sie von einem höher gelegenen Punkt hinunter auf bewaldete Berghänge und eine wellige Ebene, die von hellen Wasserläufen durchzogen wurde. Die Landschaft glich der Ebene südlich des Lagers in der Nähe des An-Archen, aber es war kein Anblick, den sie während der Winter, die sie bisher dort verbracht hatte, je gesehen hatte. Außerdem schien Sommer oder zumindest Frühling zu sein, denn die Sonne schien, und im Gras wuchsen Blumen. Weit in der Ferne, beinahe am Rande ihres Blickfeldes, schritten ameisengleiche Gestalten davon.
    »Was machst du da, mein Kind?«
    Ytha! Die Sprecherin befand sich dicht hinter ihr; sie war so leise wie eine Jägerin durch das Gras geschlichen. Teia ließ die Musik los, fuhr mit den Fingern ins Wasser, damit ihr Bild zerstört wurde, und sprang auf die Beine.
    »N… nichts, Sprecherin! Ich habe bloß Wasser g… geholt …« Sie bemerkte, dass sie stotterte, und holte tief Luft. Dabei presste sie die Hand auf die Brust, als ob sie dadurch ihr rasendes Herz beruhigen könnte. »Ich hatte einen Tagtraum.«
    »Es tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe«, sagte Ytha freundlich. »Für einen Augenblick hatte ich geglaubt, ich hätte jemanden beim Wahrsagen gesehen.«
    »Beim Wahrsagen?« Teias Herz schien sich wie ein gefangener Vogel gegen die Rippen zu werfen. Hatte die Sprecherin es bemerkt? »Nein, ganz und gar nicht. Ich weiß nicht einmal, wie das geht.«
    »Natürlich nicht. Denn wenn du die Gabe hättest, würdest du damit zu mir kommen, nicht wahr?«
    Ytha trat näher an sie heran und machte eine rasche Handbewegung. Eine Kugel aus kaltem blauen Licht erschien und glitt über Teias Schulter. Obwohl sie die Lichter der Sprecherin schon kannte, war das plötzliche Erscheinen der Kugel so nahe vor ihrem Gesicht sehr beunruhigend. Das Licht gab keine Wärme ab, aber Teia spürte es wie Nesseln, und ihre Haut schrie danach, gekratzt zu werden. Vielleicht aber war dafür nur der forschende Blick der Sprecherin verantwortlich. Nachdem Teia ein halbes Jahr lang versucht hatte, ihren Blicken auszuweichen, benötigte sie nun all ihren Mut, um ihm standzuhalten.
    »Du bist wirklich ein hübsches Ding.« Ytha berührte Teias Wange und drehte ihr Kinn ins Licht. »Du kannst dich glücklich schätzen, dass du mit einer so guten Haut gesegnet wurdest, meine Liebe. Und mit so hübschen Augen.« Sie wies auf die verfilzten Strähnen, die Teia über die Schultern hingen. »Deine Haare hingegen sehen traurig aus, aber das bekommen wir wieder hin. Zeig mir deine Hände.«
    Teia streckte sie aus. Ytha ergriff sie, drehte sie langsam um, fuhr mit den Daumen über die rissige Haut und nickte mitfühlend. »Komm mit mir, Kind. Dagegen können wir etwas unternehmen.«
    »Aber der Abwasch!«, wandte Teia ein. »Ich bin noch nicht fertig damit.«
    »Ich habe schon mit deiner Mutter und deinen Schwestern gesprochen«, versicherte Ytha ihr mit einem Lächeln. »Andere werden sich darum kümmern. Bring ihnen das Wasser, und komm anschließend in mein Zelt. Aber lass dir nicht zu viel Zeit. Ich warte auf dich.«
    Damit ging die Sprecherin durch das hohe Gras zurück zum Lager. Verblüfft folgte Teia ihr, die beiden schweren Kübel in den Händen.
    Am Feuer ihrer Familie war ihre Mutter nirgendwo zu sehen, und das Zelt war leer. Sie ließ die Kübel beim Herd stehen, nahm den Kessel vom Feuer, damit das kochende Wasser nicht völlig verdampfte, und machte sich auf den Weg durch das Lager.
    Ythas Zelt stand wie das des Häuptlings ein wenig abseits von den anderen. Fackeln flankierten den Eingang, und im Innern glomm Licht. Teia holte mehrmals tief Luft, beruhigte sich und kratzte an der Zeltklappe.
    »Herein«, sagte Ytha, und sie duckte sich und trat ein.
    Unter den jungen Mädchen gab es viele Mutmaßungen, wie es im Zelt der Sprecherin wohl aussehen mochte. Nun stellte sich heraus, dass die meisten dieser Mutmaßungen falsch waren. Es gab keine unheimlichen Tiere in Käfigen, keine stinkenden Räuchergefäße, keine seltsamen Totems aus Federn und Knochen. Teppiche dienten als Wandbehänge, trennten als Vorhang den Schlafbereich ab und bedeckten
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