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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik
Autoren: Ian Banks
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habe. Ich weiß, daß das ein
Verbrechen ist, und mein Vater weiß es auch, und ich glaube,
daß er manchmal die Entscheidung bedauert, die er vor siebzehn
Jahren getroffen hat – in seinen Hippie-Anarchisten-Zeiten oder
wie immer man sie nennen soll.
    Nicht, daß ich wirklich darunter gelitten hätte. Mir
hat es Spaß gemacht, und man kann nicht behaupten, daß
ich keine Ausbildung genossen hätte. Ich weiß
wahrscheinlich besser in den herkömmlichen Schulfächern
Bescheid als irgend jemand sonst in meinem Alter. Ich könnte
mich allenfalls über den mangelnden Wahrheitsgehalt einiger der
Informationen beschweren, die mir mein Vater vermittelt hat, das
schon. Seit ich in der Lage bin, allein nach Porteneil zu gehen und
die Dinge in der Bibliothek nachzulesen, kann mir mein Vater kaum
noch was vormachen, aber als ich noch jünger war, hat er mich
immer wieder zum Narren gehalten und meine ehrlichen, wenn auch
naiven Fragen mit ausgemachtem Quatsch beantwortet. Jahrelang war ich der Meinung, Pathos sei einer der drei Musketiere,
Fellatio eine Figur aus Hamlet, Vitriol eine Stadt in China und
irische Bauern müßten Torf mit den Füßen
stampfen, um Guinness herzustellen.
    Nun, heute kann ich das oberste Regalbrett unserer Hausbibliothek
erreichen und einfach nach Porteneil spazieren, um die dortige
Bücherei zu besuchen, und somit kann ich alles
überprüfen, was mein Vater sagt, und er muß mir die
Wahrheit sagen. Das ärgert ihn sehr, vermute ich, aber das ist
nun mal der Lauf der Welt. Man könnte es Fortschritt nennen.
    Aber ich bin gebildet. Obwohl er es sich nicht verkneifen konnte,
sich mit seinem ziemlich kindischen Humor auszutoben, indem er mir
etliche Finten vorsetzte, wollte mein Vater auch nicht darauf
verzichten, in seinem Sohn in irgendeiner Weise sich selbst
verwirklicht zu sehen; was meinen Körper betrifft, wäre
alles vergebliche Liebesmühe gewesen, also blieb nur mein Geist.
Deshalb der intensive Unterricht. Mein Vater ist ein gebildeter Mann,
und einen Großteil seines bereits vorhandenen Wissens hat er an
mich weitergegeben, darüber hinaus betrieb er für sich
selbst Studien auf Gebieten, in denen er sich bis dahin nicht so gut
auskannte, nur um mich unterrichten zu können. Mein Vater ist
Doktor der Chemie oder vielleicht der Biochemie – ich bin mir
nicht ganz sicher. Er besaß offenbar ausreichende Kenntnisse in
der allgemeinen Medizin – und vielleicht hatte er auch noch
Kontakte zu diesem Berufsstand –, um dafür zu sorgen,
daß ich alle Impfungen und Spritzen zum richtigen Zeitpunkt in
meinem Leben bekam, trotz meiner offiziellen Nichtexistenz im
Hinblick auf die Staatliche Gesundheitsfürsorge.
    Ich glaube, mein Vater hat nach seiner Doktorarbeit noch ein paar
Jahre an der Universität gearbeitet, und vielleicht hat er
irgend etwas erfunden; er läßt ab und zu eine Bemerkung
fallen, daß er irgendwelche Gewinnanteile aus einem Patent oder
so ähnlich erhält, aber ich habe den Verdacht, der alte
Hippie lebt vom Familienvermögen der Cauldhames, das irgendwo
gut versteckt angelegt ist.
    Die Familie lebt seit etwa zweihundert Jahren in diesem Teil
Schottlands, oder sogar noch länger, soweit ich erfahren habe,
und uns gehörte mal eine ganze Menge Land in dieser Gegend.
Jetzt besitzen wir nur noch die Insel, und die ist ziemlich klein und
bei Ebbe eigentlich keine Insel mehr. Das einzige andere Zeugnis
unserer glorreichen Vergangenheit ist der Name des
Vergnügungsschuppens von Porteneil, einer heruntergekommenen
alten Kneipe namens ›Cauldhame Arms‹, wo ich jetzt ab und
zu hingehe, obwohl ich natürlich noch nicht alt genug dafür
bin, und die Jugend des Ortes bei ihren Versuchen beobachte,
Punk-Gruppen zu bilden. Dort traf und treffe ich immer noch den
einzigen Menschen, den ich als meinen Freund bezeichne: Jamie den
Zwerg, den ich auf meinen Schultern sitzen lasse, damit er die Bands
sieht.
    »Nun ja, ich glaube nicht, daß er es so weit schafft.
Man wird ihn vorher aufgreifen«, sagte mein Vater zum
zweitenmal, nach langem und nachdenklichem Schweigen. Er stand auf,
um sein Glas auszuspülen. Ich summte vor mich hin, was ich immer
tat, wenn mir nach Lächeln oder Lachen zumute war und ich es mir
anders überlegte. Mein Vater sah mich an. »Ich gehe ins
Arbeitszimmer. Vergiß nicht abzuschließen, ja?«
    »Alles klar«, sagte ich und nickte.
    »Gute Nacht.«
    Mein Vater verließ die Küche. Ich saß da und
betrachtete meinen Spaten, Marke Stoutstroke. Kleine Krümel
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