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Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik
Autoren: Ian Banks
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des Geschlechtsaktes und zum
Gebären fähig (mich schaudert bei der Vorstellung des einen
wie des anderen).
    Ich blickte hinaus auf das glitzernde Meer, während Erics
Kopf in meinem Schoß ruht, und ich denke wieder an jenes arme
Pferd.
    Ich weiß nicht, was ich tun werde. Ich kann nicht
hierbleiben, und ich habe Angst vor allen anderen Orten. Doch ich
vermute, ich muß gehen. Was für ein Dilemma! Vielleicht
würde ich Selbstmord in Betracht ziehen, wenn nicht einige
meiner Verwandten so wenig nachahmenswerte Beispiele geliefert
hätten.
    Ich betrachte Erics Kopf: ruhig, dreckig, schlafend. Sein Gesicht
sieht friedlich aus. Er empfindet keinen Schmerz.
    Ich beobachte eine Zeitlang die kleinen Wellen, die an den Strand
plätschern. Auf diesem Meer, dieser Linse aus Wasser, beidseitig
gewölbt und schaukelnd und um die Erde rollend, erblicke ich
eine gekräuselte Wüste, dabei habe ich es auch schon so
glatt wie ein Salzsee gesehen. Überall ist die Geografie
unterschiedlich; das Meer wogt, schwankt und schwillt, rollt sich im
auffrischenden Wind zusammen, erhebt sich unter der steifer werdenden
Brise zu sanften Hügeln und bäumt sich schließlich
mit weißen Schaumkronen wie Schneestreifen zur Höhe eines
Gebirges auf, gepeitscht vom orkanartigen Sturm.
    Und dort, wo ich jetzt bin, wo wir sitzen und liegen und schlafen
und schauen, an diesem warmen Sommertag, wird in einem halben Jahr
Schnee fallen. Eis und Frost, Rauhreif und kristallene Nadeln; ein
heulendes Kältegestöber aus Sibirien wird über
Skandinavien getrieben und fegt über die Nordsee; die grauen
Gewässer auf der Erde und die schwärzliche Luft am Himmel
werden ihre kalten, entschlossenen Hände auf diesen Ort legen
und ihn für eine Weile vereinnahmen.
    Ich möchte lachen oder weinen oder beides, während ich
hier sitze und über mein Leben nachdenke, über meine drei
Tode. Inzwischen gewissermaßen vier Tode, nachdem die Wahrheit,
die ich von meinem Vater erfahren habe, das getötet hat, was ich
bisher war.
    Und doch bin ich immer noch ich; ich bin dieselbe
Person, mit denselben Erinnerungen und denselben begangenen Taten,
denselben (kleinen) Leistungen und denselben (abscheulichen) Morden,
die mit meinem Namen verbunden sind.
    Warum? Wie konnte ich diese Dinge nur tun?
    Vielleicht deshalb, weil ich dachte, mir wäre alles, auf das
es in der Welt ankam, der ganze Sinn – und das Mittel –
für unseren Fortbestand als Gattung, gestohlen worden, bevor ich
dessen Wert überhaupt kennengelernt hatte. Vielleicht mordete
ich in jedem Fall aus Rachelust, indem ich eifersüchtig –
mit Hilfe der einzigen Macht, die mir zu Gebote stand – einen
Tribut von jenen forderte, die mir in die Quere kamen;
meinesgleichen, die ohne mein Einschreiten sich zu dem entwickelt
hätten, das ich niemals werden konnte: ein Erwachsener.
    Man könnte sagen, da mir ein bestimmter Wille fehlte,
kultivierte ich einen anderen; um meine eigene Wunde zu lecken,
zerschnitt ich in meiner zornigen Unschuld den Lebensfaden anderer,
als Vergeltung für den von mir als ungerecht und
unwiederbringlich empfundenen Verlust meiner Männlichkeit, deren
Bedeutung ich damals zwar nicht so richtig zu schätzen
wußte, von der ich jedoch – vielleicht aufgrund des
Verhaltens der anderen – eine Ahnung hatte. Da ich nicht zur
Zeugung neuen Lebens geschaffen war, verwandte ich all meine Kraft
für das schaurige Gegenteil, und darin fand ich einen negativen
Ausgleich für die Fruchtbarkeit, die nur die anderen für
sich beanspruchen konnten. Ich glaube, ich, als der Entmannte,
faßte den Entschluß, da mein Leib niemals der eines
Mannes würde sein können, alle um mich herum zu entleiben,
und deshalb wurde ich zum Mörder, ein kleines Abbild des
unbarmherzigen Kriegshelden, in dem fast alles, das ich je gesehen
oder gelesen hatte, höchste Verehrung fand. Ich suchte oder
fertigte meine eigenen Waffen, und meine Opfer waren jeweils vor noch
nicht allzu langer Zeit aus jenem Akt entstanden, zu dessen
Ausübung ich nicht in der Lage war; darin waren sie
meinesgleichen, doch im Gegensatz zu mir besaßen sie das Mittel
zur Fortpflanzung, und erst nach meinem Handeln waren sie dazu
ebensowenig fähig wie ich. Soviel zum Thema Penisneid.
    Jetzt stellt sich heraus, daß alles vergeblich war. Es
bestand keinerlei Grund zur Rache, es beruhte alles auf einer
Lüge, einem Trick, den ich hätte durchschauen müssen,
eine Tarnung, die ich selbst als Betroffener hätte entlarven
können, was ich
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