Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Wespenfabrik

Die Wespenfabrik

Titel: Die Wespenfabrik
Autoren: Ian Banks
Vom Netzwerk:
sich
damit, mir abwegige Überraschungsfragen an den Kopf zu werfen,
zum Beispiel über das Fassungsvermögen des
Schirmständers in Pinten oder die Gesamtfläche aller
Gardinen des Hauses, gemessen in Morgen-Bruchteilen, beschränkt
auf die jeweils tatsächlich aufgehängten.
    »Ich beantworte dir diese Fragen nicht mehr«, sagte ich,
während ich meinen Teller zur Spüle trug. »Wir
hätten schon vor Jahren zum metrischen System übergehen
sollen.«
    Mein Vater schnaubte in sein Glas, während er es leer trank.
»Hektar und solchen Quatsch. Ganz sicher nicht! Es beruht alles
auf den Abmessungen des Globus, weißt du. Ich brauche dir nicht
zu erklären, was für ein Unsinn das ist.«
    Ich seufzte und nahm einen Apfel aus der Schale, die auf der
Fensterbank stand. Mein Vater hatte mir einmal weismachen wollen, die
Erde sei ein Möbius-Band, keine Kugel. Er tut immer noch so, als
hielte er an diesem Glauben fest, und schickt mit viel Aufhebens
Manuskripte an Verlage in London, um sie zur Veröffentlichung
eines Buches zu bewegen, das seinen Standpunkt darlegt, aber ich
weiß, daß es ihm nur wieder ums Quertreiben geht und
daß sein Hauptvergnügen darin besteht, den Fassungslosen
und rechtmäßig Empörten zu spielen, wenn das
Manuskript irgendwann zurückgeschickt wird. Das wiederholt sich
etwa alle drei Monate, und ich bezweifle, daß das Leben ohne
dieses Ritual für ihn auch nur halb so vergnüglich
wäre. Jedenfalls ist das einer der Gründe, warum er seine
albernen Maße nicht längst ins metrische System
übertragen hat, abgesehen davon, daß er schlicht und
einfach faul ist.
    »Was hast du heute so getrieben?« Er sah mich über
den Tisch hinweg an und rollte dabei das leere Glas auf der
hölzernen Tischplatte hin und her.
    Ich zuckte die Achseln. »Ich war draußen. Bin
spazierengegangen und so.«
    »Hast du wieder mal Dämme gebaut?« fragte er
höhnisch.
    »Nein«, sagte ich mit überzeugtem
Kopfschütteln und biß in den Apfel. »Heute
nicht.«
    »Ich hoffe, du hast da draußen keine von Gottes
Kreaturen umgebracht.«
    Ich bedachte ihn erneut mit einem Achselzucken. Natürlich
habe ich da draußen Dinge umgebracht. Wie, verdammt noch mal,
soll ich denn an Köpfe und Körper für die Pfähle
und den Bunker kommen, wenn ich nicht Dinge umbringe? Es gibt einfach
nicht genügend natürliche Todesfälle. So etwas kann
man den Leuten jedoch nicht klarmachen.
    »Manchmal denke ich, daß du es bist, der in die Klinik
gehört, nicht Eric.« Seine Augen unter den dunklen Brauen
sahen mich vielsagend an, und er sprach mit gedämpfter Stimme.
Früher hätte mir ein solches Gespräch angst gemacht,
aber jetzt nicht mehr. Ich bin fast siebzehn und kein Kind mehr. Hier
in Schottland bin ich nach dem Gesetz alt genug, um ohne die
Einwilligung meiner Eltern zu heiraten, und das schon seit einem
Jahr. Vielleicht wäre es nicht sehr sinnvoll, wenn ich heiraten
würde – das gebe ich zu –, aber es geht ums
Prinzip.
    Und übrigens, ich bin nicht Eric; ich bin ich, und ich bin
hier, und damit hat sich die Sache. Ich kümmere mich nicht um
andere Leute, und sie tun gut daran, sich nicht um mich zu
kümmern, wenn sie sich Scherereien ersparen wollen. Ich beschere den Leuten keine brennenden Hunde und erschrecke die
hiesigen Kleinkinder nicht mit einer Handvoll Maden oder einem
Mundvoll Würmer. Kann schon sein, daß die Leute in der
Stadt sagen: »Oh, der hat nicht alle beisammen, wissen
Sie.« Aber das ist ihr Spaß (und manchmal, wenn sie es
besonders spannend machen wollen, heben sie nicht einmal den Finger
zum Kopf, während sie es sagen); mich stört das nicht. Ich
habe gelernt, mit meiner Beschränktheit zu leben, und ich habe
gelernt, ohne andere Menschen zu leben, also kann mir das alles
nichts anhaben.
    Mein Vater hatte jedoch offenbar die Absicht, mich zu verletzen;
so etwas pflegte er normalerweise nicht zu sagen. Die Nachricht
über Eric mußte ihn erschüttert haben. Ich glaube, er
wußte – genausogut wie ich –, daß Eric
zurückkommen würde, und er machte sich Sorgen, welche
Probleme daraus entstehen würden. Ich konnte es ihm nicht
verübeln, und ich zweifelte nicht daran, daß er sich auch
meinetwegen Sorgen machte. Ich verkörpere ein Verbrechen, und
wenn Eric zurückkommt und alles wieder neu aufwühlt,
könnte die WAHRHEIT ÜBER FRANK herauskommen.
    Ich bin nirgends registriert. Ich habe keine Geburtsurkunde, keine
Sozialversicherungsnummer, nichts, aus dem hervorgeht, daß ich
lebe oder je existiert
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher