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Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere

Titel: Die Werte Der Modernen Welt Unter Beruecksichtigung Diverser Kleintiere
Autoren: Marina Lewycka
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ihn nach Victor Serge, einem belgisch-russischen Revolutionär mit »lieberen Tendenzen«.
    In den späten sechziger und siebziger Jahren durchlebten ihre Eltern aufregende und abenteuerliche Zeiten, als sie die Fesseln der Konventionen abwarfen, sich befreiten, um mit neuen Lebensformen, cooler Musik und bescheuerten Klamotten zu experimentieren – was auch nicht viel aufregender gewesen sein kann als das Abenteuer, neue Formen des Risikomanagements zu erfinden, um Geld freizusetzen und auf der Suche nach nie erträumten Renditen durch die ganze Welt zu schicken.
    Er wünschte nur, er könnte Doro erklären, wie aufregend das alles ist.
    »Wie gesagt, Mum, Stürme, Wolken, Galaxien. Die großen Naturgewalten ...«
    Doch sie hört nicht mehr zu. Ihre Aufmerksamkeit ist auf eine Frau mit einem großen braunen Pudel an der Leine gerichtet, der draußen auf der Straße einen Haufen macht. Doro klopft an die Scheibe. Die Frau sieht auf. Ihre Blicke treffen sich.
    »... folgen ganz bestimmten verborgenen Gesetzen.«
    Doro klopft wieder gegen die Scheibe. Der Hund macht weiter.
    »Und nicht nur in der Natur. An der Börse zum Beispiel ...«
    »Das ist doch auch nur eine riesige Lotterie«, sagt sie.
    »Genau, Mum. Aber wenn man sich über längere Zeit mit dem Ganzen befasst ...«
    »Mein Schatz, Leute, die sich mit der Börse befassen, tragen für gewöhnlich nichts Nützliches zur Gesellschaft bei, sondern profitieren von der ehrlichen Arbeit anderer.«
    In ihren Augen glimmt ein manisches Leuchten. Sein Geständnis wird schwerer, als er dachte.
    »Ich weiß. Aber wenn , dann entdeckt man plötzlich Trends und Muster ...«
    Die Frau, die rosa Leggings in schwarzen Stiefeln trägt, zieht an der Hundeleine, um dem Pudel Beine zu machen.
    »... man kann also dieselbe Theorie auf die Märkte übertragen ...«
    Seine Mutter ist wie hypnotisiert von der Szene vor dem Fenster. Vielleicht ist jetzt doch nicht der richtige Augenblick für ein Geständnis.
    »Schau dir das an!«, schimpft sie. »Öffentliche Grünflächen als Kloake benutzen. Ohne einen Gedanken an andere.«
    Die Frau zieht fester, aber der Hund stemmt sich gegen die Leine und drückt weiter. Serge merkt, wie er sich in das Drama hineingezogen fühlt, aber er versucht mit seinem Geständnis weiterzumachen.
    »Erinnerst du dich an Fibonacci, Mum? Den Kaninchen-Mann? Also, manche benutzen die Fibonacci-Folge, um ...«
    Seine Mutter hält sich theatralisch mit Zeigefinger und Daumen die Nase zu. Der Hund drückt noch einmal fest – und siehe da! Auf dem Bordstein unter seinem Hinterteil materialisiert sich ein goldener Haufen.
    »... um die Bewegungen der Märkte vorherzusagen ...«
    Ein zufriedener Ausdruck breitet sich auf dem Gesicht des armen Köters aus. Doro klopft immer noch gegen die Scheibe, während sie sich mit der anderen Hand die Nase zuhält. Sie mag ja recht haben, aber kein normaler Mensch würde sich so aufführen.
    »... wobei die Ironie bei der Vorhersage von Marktentwicklungen natürlich darin liegt ...«
    Die Frau mit den rosa Beinen macht ein bekümmertes Gesicht. Dafür schnüffelt der Hund glücklich an seinem dampfenden Produkt. Sie zieht an der Leine und wendet sich zum Gehen.
    »... dass es, wenn es idiotensichere Prognosen gäbe, auch keinen Markt geben würde!«
    »Halt!« Doro springt von ihrem Stuhl auf und stürzt auf die Straße, wo sie lauthals schreit: »Da kann doch jemand reintreten! Ein Kind vielleicht!«
    Alle Leute starren sie an. Die rosabeinige Frau reißt an der Leine, aber der Pudel zerrt in die andere Richtung, noch nicht bereit, sich von seinem Goldhaufen zu trennen. Doro gestikuliert wild. Wie auch immer, man muss ihren Mut bewundern. Endlich lässt der Hund sich wegziehen, und Doro kommt ins Café zurück und lässt sich vor ihrem lauwarmen Cappuccino auf den Stuhl fallen.
    »Die ganze Welt ist verrückt geworden. Überall immer nur Ich, Ich, Ich! Es hat keiner mehr einen Sinn für soziale Verantwortung!«
    »Beruhig dich, Mum.«
    Als die Leute weitergehen, bemerkt er eine Frau in einem gelben Jackett, die durchs Fenster direkt zu ihnen hereinsieht. Maroushka! Was macht sie da draußen in freier Wildbahn?
    »Und es sollte dieser Person auch mal jemand sagen, dass sie viel zu alt für rosa Leggings ist!«

Clara
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