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Die Welt auf dem Kopf

Die Welt auf dem Kopf

Titel: Die Welt auf dem Kopf
Autoren: Milena Agus
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Mimosen, deren Blüten auf die Kieswege fielen, den Flieder, die Freesien und Ranunkeln, die verschiedenen Rosensorten, die Glyzinie, die sich mit ihren violetten Blütentrauben um die Haustür rankte, den Rizinusstrauch mit seinen roten Blüten und den kleinen Weinberg hinter dem Haus, aus dessen Früchten der Bauer, der sich um unseren Garten kümmerte, einen hervorragenden Wein machte. Denn unser Haus befand sich und befindet sich noch immer am Dorfrand, am Ende einer Sandstraße, wo die offene Landschaft beginnt, in einem Landstrich Sardiniens, dessen sanfte Hügel sich im Frühling mit allen möglichen Grüntönen überziehen.

Vier
    H ier, in der Wohnung in Cagliari, stellte ich alle möglichen Mutmaßungen über die Johnsons an, die den oberen Stock bewohnten. Weil ich nur im Sommer hier war, bekam ich sie nie zu Gesicht, denn dann fuhren sie, wie mir die Hausangestellten erzählten, ans Meer, an diese Promiorte auf Sardinien, wo die Schönen und Reichen Urlaub machen. In ihrer Abwesenheit malte ich mir aus, dass sie unbeschreiblich reich seien, glaubte sogar, dass es sich bei ihnen um die Johnson & Johnson handelte, von denen mein Badeschaum stammte. Wegen des milden Klimas hielten sich die Johnsons nur im Winter in unserem Haus auf, die Zwischensaison verbrachten sie in Paris. Die Signora, die gern dekolletierte Kleider trug und die Haare zu einem eleganten Bananenknoten schlang, in den sie eine brillantenbesetzte Nadel steckte, kleidete sich dort nach der neuestenMode ein. Die Johnsons verfügten über eine große Zahl an Bediensteten, die von der Rangfolge her eine Art Pyramide bildeten: Ganz oben an der Spitze waren die Hausangestellten, die hatten weitere Dienstboten unter sich und die wieder welche und so weiter.
    Von den Hausmädchen, mit denen ich mich angefreundet hatte, erfuhr ich dann auch, dass Mr. Johnson nicht etwa ein Industrieller, sondern ein berühmter Violinist war und sich ganz und gar nicht wie ein typischer Reicher gebärdete. Ganz im Gegenteil, er sei, wie sie mir auf Sardisch erklärten, fuliau de sa maretta , »ein vom Sturm an Land gespülter Schiffbrüchiger«. Das Geld hatte seine Frau, die sich mit Mrs. Johnson ansprechen ließ, aber sie war keine Amerikanerin, sondern Sardin durch und durch: Von den Eltern über die Großeltern bis zu den Ururgroßeltern waren alle Sarden gewesen. Su mundu a fundu in susu , »eine auf den Kopf gestellte Welt«, meinten die Dienstmädchen. Denn normalerweise ist doch der Amerikaner der Reiche und der Sarde der Arme, oder nicht? Die Hausangestellten erzählten mir auch, wie außerordentlich schön, wahnsinnig chic und pariserisch Mrs. Johnson war und dass sie wegen der Figur nie etwas von dem aß, was sie auf dem Markt einkaufen und zubereiten ließ, sondern dass all die Köstlichkeiten immer nur für die Gäste da waren. Sie legte großen Wert auf gute Umgangsformen und bestand darauf, dass zum Mittagessen immer die silberne Glocke geläutet wurde, selbst wenn alle im selben Zimmer waren und man nur hätte sagen müssen: »Zu Tisch, bitte!«
    Mrs. Johnson bereute es, eine Wohnung hier in der Marina gekauft zu haben, einem ärmlichen Viertel, das vorwiegend von Schiffbrüchigen aus Pakistan, Bangladesch, dem Senegal, Maghreb und aus China bewohnt wird. Wo es einem aus der zwischen den Fenstern aufgespannten Wäsche auf den Kopf tropft und man den Geruch nach Knoblauch, Frittiertem, allen möglichen exotischen Gewürzen, Heizöl und Urin nicht mehr los wird, und es sich, wenn es denn mal nach Parfüm riecht, allenfalls um einen süßlichen asiatischen Duft handelt. Einem Viertel, wo sich Weiße, Gelbe und Schwarze aus den Fenstern lehnen und sich gegenseitig etwas zuschreien, und wenn es heiß ist, sich die Frauen auf einen Schemel vor die Hauseingänge mit den hässlichen Aluminiumtüren setzen, durch die man auf dunkle Treppen blickt, die so eng sind, dass man nicht zu zweit nebeneinander gehen kann, und wo zu den Gebetsstunden der Ruf des Muezzins durch die Lautsprecher gellt und die Menschen die Straße vor dem Gebäude mit der Wohnung verstopfen, die man in eine Moschee umfunktioniert hat. Doch mit dem herrlichen Blick auf den Hafen gab sie mächtig an.
    Die Johnsons hatten auch einen Sohn, Johnson junior, aber die Hausangestellten hatten ihn noch nie zu Gesicht bekommen.
    Sobald sie ein großes Schiff im Hafen ankommen oder abfahren sahen, riefen sie mich aus einem der Fenster in der oberen Wohnung zu sich, weil sie wussten, dass ich verrückt
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